01. November 2023 - Die Mind-Body-Medizin befasst sich mit dem Zusammenhang von Geist und Körper und hat zum Ziel, die Gesundheit auf Basis von vier Säulen zu fördern. Diese vier Gesundheits-Säulen sind (1) stressreduzierendes Verhalten (Behavior), (2) Bewegung (Exercise), (3) Entspannung (Relaxation) und (4) Ernährung (Nutrition), zusammengesetzt also BERN (Esch & Esch 2016, Esch & Stefano 2022).

Achtsamkeit (formal und informell) spielt in allen vier Säulen eine wichtige Rolle, insbesondere jedoch im Kontext von Entspannung und „Genuss“ (z.B. bei der Ernährung). In der Universitätsambulanz für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde in Witten werden bereits seit 2019 regelmäßig achtwöchige BERN-Kurse für Patient:innen angeboten.
In einem dreieinhalbjährigen Forschungsprojekt wurde dieser Ansatz nun auch auf die Bedürfnisse und Ressourcen von Senior:innen in stationären Pflegeeinrichtungen angepasst und getestet. Dieses Projekt wurde finanziert vom Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek), im Namen und Auftrag der Ersatzkassen.

Das Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung (IGVF, Instituts- und Projektleiter: Univ.-Prof. Dr. med. Tobias Esch) untersuchte in der Studie „Glück und Achtsamkeit in Pflegeeinrichtungen“ die Wirkung einer angepassten achtwöchigen BERN-Intervention: Teilnehmende Senior:innen aus vier Einrichtungen erhielten wöchentlich einen Präsenz-Kurs vor Ort von einer zertifizierten Trainerin, in weiteren vier Einrichtungen wurde eine eigenes entwickelte App auf einem Tablet angeboten, wobei auch technische Unterstützung gewährleistet wurde. Die Veränderungen der Senior:innen der BERN-Gruppen direkt nach der Intervention und drei Monate später wurden mit den Veränderungen in der Kontroll-Gruppe, die weiterhin „nur“ normal am Heimalltag teilnahmen, verglichen. Außerdem wurde untersucht, ob sich eine andere gesundheitlich-psychologische Entwicklung ergab, wenn die Senior:innen das Angebot mehr oder weniger in Anspruch genommen haben. Die Senior:innen wurden im Zeitraum von fünf Monaten dreimal befragt. Zusätzlich wurden die Einschätzungen der Mitarbeitenden der teilnehmenden Einrichtungen zur Frage erhoben, was bei der Umsetzung der BERN-Intervention erfolgreich war und in welchen Bereichen noch weiterer Optimierungsbedarf besteht.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Ergänzung der Routineversorgung in Pflegeeinrichtungen durch BERN-Angebote eine sinnvolle Maßnahme darstellt.

Subjektives Wohlbefinden konnte durch BERN-Intervention aufrecht erhalten bleiben

In dem Forschungsprojekt zeigte sich, dass Senior:innen in den BERN-Gruppen das persönliche Wohlbefinden während der achtwöchigen Übungszeit eher aufrecht erhielten als Personen der Kontroll-Gruppe, die nicht an den Übungen teilgenommen hatten. Dieser Unterschied war noch stärker ausgeprägt, wenn die Teilnahme an den BERN-Sitzungen regelmäßiger war.

Insbesondere die BERN-App förderte die Beobachtungsfähigkeit der Teilnehmenden

Achtsamkeit bedeutet nicht, Probleme zu verdrängen oder Unangenehmes zu ignorieren. Eine genaue Definition von Achtsamkeit ist schwierig zu treffen. Jon Kabat-Zinn beschreibt sie unteranderem als die bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit „auf den gegenwärtigen Moment, ohne zu bewerten“ (Kabat-Zinn, 2010). Es wird zwischen achtsamkeitsinformierten und -basierten Verfahren unterschieden. Achtsamkeitsinformierte Verfahren zeichnen sich durch informelle Ansätze und Methoden zur indirekten Verbesserung der Achtsamkeit aus (Michaelsen et al. 2023).

Eine achtsamere Einstellung kann Menschen dabei unterstützen, mit herausfordernden Situationen umzugehen. Da ältere Menschen in besonderem Maß solchen Situationen gegenüberstehen, ist anzunehmen, dass auch sie von Achtsamkeit profitieren können. In der Studie wurden daher die folgenden Dimensionen von Achtsamkeit erhoben: Beobachten (die eigenen Gedanken und Gefühle), Beschreiben, mit Aufmerksamkeit Handeln und Akzeptieren ohne Bewertung.

Die App-Intervention scheint im Vergleich zur Präsenz- und Kontroll-Gruppe im Ergebnis kurzfristig besser zur Erhöhung der Beobachtungsfähigkeit geeignet zu sein. Jedoch zeigte auch die Gruppe der Senior:innen, die am BERN-Kurs vor Ort teilnahm, eine leichte Verbesserung bei der Beobachtung der eigenen Gedanken und Gefühle.

Beobachtete Veränderung bei der Haltung der Senior:innen – Von Skepsis zu Vorfreude

Die befragten Mitarbeitenden gaben an, dass es für die Zielgruppe teilweise schwierig war, Zugang zum Konzept Achtsamkeit zu bekommen sowie die App eigenständig zu nutzen. Daher waren Vertrauenspersonen wichtig. Mit zunehmender Erfahrung und einem besseren Verständnis der Inhalte war eine Entwicklung „von Skepsis zu Vorfreude“ zu beobachten: Das befragte Personal bemerkte eine achtsamere Einstellung der teilnehmenden Bewohnenden und beobachtete, dass die Senior:innen größtenteils Freude an der Teilnahme hatten.

Mitarbeitende aus Einrichtungen fänden eine Mischung aus Präsenz- und App-Intervention erfolgsversprechend für das Setting Pflegeeinrichtungen

Die Mitarbeitenden brachten zusätzlich die Idee ein, dass eine Kombination aus persönlicher Anleitung und Nutzung der App möglicherweise noch effektiver sein könnte. Es wurden zwei mögliche Ansätze diskutiert: Entweder die App in kleinen Gruppen zu verwenden (statt wie bisher in Einzelanwendung) oder die ersten Sitzungen in Präsenz abzuhalten und dann die App mit einzubeziehen. Auf diese Weise könnten die Vorteile beider Formate genutzt werden. Die Kombination der Maßnahmen müsste in weiterer Forschung untersucht werden, um die Wirksamkeit zu überprüfen.

Was heißt das genau? – Take-Home-Message

  • Die BERN-Intervention ist bei pflegebedürftigen Senior:innen umsetzbar und wirksam.
  • Eine Erweiterung des Versorgungsangebots von Pflegeeinrichtungen durch die BERN-Intervention erscheint grundsätzlich machbar und sinnvoll.
  • Sowohl die App- als auch die Präsenz-BERN-Intervention scheinen vor einer Verschlechterung des subjektiven Wohlbefindens zu schützen und die Achtsamkeit kurzfristig zu fördern.
  • Eine Einbindung in weitere (z.B. ambulante) Settings sollte diskutiert und getestet werden.

Weitere Ergebnisse werden zeitnah in wissenschaftlichen Journals veröffentlicht.

Bei Fragen gerne melden bei Univ.-Prof. Dr. med. Tobias Esch unter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Literatur

  • Esch, T., & Stefano, G. B. (2022). The BERN Framework of Mind-Body Medicine: Integrating Self-Care, Health Promotion, Resilience, and Applied Neuroscience. Frontiers in Integrative Neuroscience, 16, 913573.
  • Esch, T. & Esch, S. (2016). Stressbewältigung. Mind-Body-Medizin, Achtsamkeit, Selbstfürsorge. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
  • Kabat-Zinn, Jon (2010). Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung. 9th edn.: Fischer.
  • Michaelsen, M. M., Graser, J., Onescheit, M., Tuma, M. P., Werdecker, L., Pieper, D., & Esch, T. (2023). Mindfulness-Based and Mindfulness-Informed Interventions at the Workplace: A Systematic Review and Meta-Regression Analysis of RCTs. Mindfulness, 1-34.

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Tobias Esch, Professor an der Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin),
Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung (IGVF), Universität Witten/Herdecke

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