3. Januar 2023 - Als besondere Inspiration für das neue Jahr und auch mit einem Blick auf die vergangenen Jahre haben wir für euch den Podcast mit  Prof. Gerald Hüther herausgesucht. Als besonderen Service für alle diejenigen, die lieber lesen oder diejenigen, die gern nochmal nachlesen, was sie gehört haben, hier der Podcast in schriftlicher Form. 

Interview mit Professor Dr. Gerald Hüther, einem der bekanntesten Gehirnforscher und Neurobiologen Deutschlands sowie Autor des neu herausgekommenen Buchs "Lieblosigkeit macht krank“

Wenn du doch lieber hören möchtest:https://www.weils-hilft.de/informieren/podcast/selbstheilungskraft-staerken-tu-was-dir-gut-tut

Anke Genius: Hallo, schön, dass Du wieder dabei bist. Ich bin Anke Genius. Darf ich dich mal etwas Persönliches fragen: Wie liebevoll gehst Du mit Dir um? Kannst Du das tun, was Du wirklich möchtest? … Na ja, Manches muss man einfach machen, denkst Du jetzt vielleicht und fühlst Dich nicht wirklich gut dabei. Möchtest Du etwas ändern und weißt nicht so recht, wie?

Dann ist diese Podcast-Folge bestimmt richtig spannend für Dich! Ich spreche diesmal mit Professor Gerald Hüther. Er ist einer der bekanntesten Hirnforscher und Neurobiologen Deutschlands und Gründer der Akademie für Potentialentfaltung. Sein neues Buch heißt "Lieblosigkeit macht krank. Was unsere Selbstheilungskräfte stärkt und wie wir endlich gesünder und glücklicher werden".

Herr Professor Gerald Hüther, ganz herzlich willkommen im "Weil’s hilft!"-Podcast! Ich grüße Sie.

Prof. Dr. Hüther: Ich grüße Sie auch und schön, dass das geklappt hat.

Anke Genius: Sie sind ja einer der bekanntesten Neurobiologen und Hirnforscher Deutschlands und haben jetzt das Buch herausgebracht "Lieblosigkeit macht krank". Wie sind Sie denn als Hirnforscher dazu gekommen, ein Buch über Lieblosigkeit zu schreiben?

Prof. Dr. Hüther: Ich hab vor 10 Jahren schon mal einen Artikel für das Deutsche Ärzteblatt geschrieben über Selbstheilungskräfte. Und das wissen ja auch alle Mediziner, dass es im Hirn in den hinteren Bereichen Regionen gibt, die sind für die körperliche Regulation zuständig. Und alle großen regulatorischen integrativen Systeme, also das Hormonsystem, das Immunsystem, das Herz-Kreislauf-System und auch das vegetative Nervensystem werden von dort oben gesteuert, also am Ende vom Hirn. 
Und diese Zentren, die dort hinten im Hypothalamus und im Hirnstamm liegen, die könnten eigentlich `nen wunderbaren Job machen und könnten das, was im Körper passiert, exzellent steuern, so dass das passiert, was man dann Selbstheilung nennt. Und was wir auch aus der Wundheilung oder aus der Knochenheilung kennen.
Das ist ja nicht der Arzt, der den Knochen heile macht, sondern der Arzt sorgt dafür, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, innerhalb derer der Selbstheilungsprozess dann auch ablaufen kann und so gut wie möglich ablaufen kann.
Und diese Bereiche im Hirn kommen durcheinander, wenn Menschen mit zu vielen Problemen herumrennen. Und das allerschlimmste Problem, was wir Menschen haben, ist, dass unsere lebendigen Bedürfnisse, – mit denen wir schon auf die Welt gekommen sind, also, das eine ist das nach Verbundenheit und das andere ist das nach Autonomie, und später nennen wir das Freiheit – dass diese beiden Bedürfnisse nicht richtig gestillt werden können.

Und dann muss man sich als Neurobiologe fragen, was es bräuchte, damit Menschen wieder in die Lage kämen, diese Bedürfnisse zu stillen. Wenn die nicht gestillt sind, hat man eigentlich einen Zustand im Hirn, der ist … also, ich nenn das immer durcheinander, aber wissenschaftlich heißt das inkohärent. Es passt nicht richtig. Es ist irgendwie ‘ne ständige Störung da oben. Und dann können diese Selbstheilungskräfte sich nicht entfalten. Und da brauchen wir irgendetwas, was uns dann hilft, aus diesem Durcheinander im Hirn wieder etwas zu machen, was dann Kohärenz heißt, wo es wieder besser passt und wo dann auch – das ist auch interessant – weniger Energie verbraucht wird.
Wer ein Durcheinander im Hirn hat, da verbrauchen die Nervenzellen irrsinnig viel Energie. Das nennen die Neurobiologen arousalund das ist … Vielleicht kann man sich’s so vorstellen, als ob die alle "durcheinander feuern". Man kennt das aus manchen Belastungssituationen, wo man nicht mehr klar denken kann.

Anke Genius: Ja, man kann nicht mehr klar denken und man ist auch wahnsinnig erschöpft davon. Also insofern kann ich mir das sehr gut vorstellen. (

Prof. Dr. Hüther: Ja, es raubt Energie und

Anke Genius: … und die Kraft …

Prof. Dr. Hüther: Es raubt Energie und, was wir aber nicht wissen, ist, dass das auch tiefer geht: in die Bereiche, die weiter hinten und unten sind im Hirn, und dass dann die auch nicht mehr richtig arbeiten können.
Also vorne, das merken wir, wenn wir nicht mehr denken können. Aber wenn plötzlich das Immunsystem nicht mehr richtig zugreifen kann und wenn das endokrine System, also das Hormonsystem, durcheinanderkommt oder das vegetative System, merken wir ja (nicht), da denken wir immer nicht dran, dass das durch dieses Durcheinander im Hirn oben erzeugt wird. Und so können wir Menschen bisweilen ein Leben führen, was so viel Durcheinander da oben erzeugt, dass die Selbstheilungskräfte nicht mehr wirksam werden. Und das ist der Grund, weshalb ich gedacht hab, mh, da muss ich mal ein Buch schreiben und das so erklären, dass das auch jeder normale Mensch versteht.

Anke Genius (lacht): Ja, es ist ein ganz tolles Buch. – Kommen wir nochmal von dem Durcheinander im Gehirn auf die Lieblosigkeit. Was genau meinen Sie mit ‚Lieblosigkeit macht krank‘?

Prof. Dr. Hüther: Wir neigen ja alle dazu, wenn wir in dieses Leben als kleine Kinder hineinwachsen, in diese Gesellschaft der Erwachsenen, in das Elternhaus und dann später Kindergarten, Schule, Peergroup (Gruppe Gleichaltriger) und Arbeitsleben, da merken wir ja, wir müssen irgendwie mit den anderen zurechtkommen. Die haben wir uns ja nicht so gebacken, wie sie sind, die sind ja schon so da gewesen. Und dieses unglaublich starke Bedürfnis, dazuzugehören, führt auch dazu, dass man, wenn man diese Zugehörigkeit, dieses Bedürfnis zu stillen versucht, indem man deren Anerkennung findet, und dann richtet man sich nach den Vorstellungen der anderen und nach deren Erwartungen. Und man kann oftmals nur das, was dort von einem erwartet wird, in der Gemeinschaft, in die man hineinwächst, auch wirklich erfüllen, indem man tapfer versucht, seine eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken.
Also, nehmen wir sowas, wenn ich als kleines Kind in die Schule komme, hab ich ein unglaubliches Bewegungsbedürfnis. Aber ich merk schon nach einem Tag, dass das da nicht geht in der Schule, ich kann ja gar nicht mehr aufpassen, bringe Alles durcheinander.
Ich hab auch ein unglaubliches Entdeckerbedürfnis und Gestaltungsbedürfnis, das kann ich da auch nicht richtig einsetzen. Also komme ich in einen inkohärenten Zustand, suche nach einer Lösung, und die Lösung heißt, ich muss das unterdrücken.

Und … das tut am Anfang noch sehr weh. Ich vergleich das ‘n bisschen damit, – weil die meisten Erwachsenen sich das gar nicht vorstellen können, die haben das ja alle geschafft! – aber es ist ein bisschen so, als ob man als Erwachsener verliebt in eine andere Person. Dann ist das auch so, dass man das jetzt unbedingt will, mit dem anderen zusammen zu sein. Und wenn man dann ‘ne Abfuhr kriegt und das funktioniert nicht, dann muss man seine eigene Verliebtheit unterdrücken.

Das ist so anstrengend!… (lacht), sich selbst zu sagen, dass man den doch jetzt eigentlich nicht mehr will – oder die. Da findet das Hirn dann aus sich selbst heraus eine Lösung, damit der Energieverbrauch nicht ins Unermessliche wächst und baut hemmende Verschaltungen über den Bereich, aus dem dieses Gefühl der Verliebtheit hervorgebracht wird.
Oder bei den Kindern, aus denen dieses Bedürfnis nach Bewegung, nach gemeinsam Spielen mit Anderen, nach Entdecken und Gestalten der Welt hervorgebracht wird. Und wenn das dann passiert ist, dann ist das interessante Phänomen, dann ist es weg! Und dann heißt die Frage, wie soll denn das jemals wiederkommen? Jetzt funktioniert der richtig. Manche sind sogar auch noch extrem erfolgreich, weil sie ihre Bedürfnisse so gut unterdrückt haben.

Nebenbei gesagt, Automaten und Roboter, also die digitalen Geräte, sind nur deshalb so leistungsfähig, weil die keine Bedürfnisse haben!
Und insofern wird ein Mensch, der seine eigenen lebendigen Bedürfnisse unterdrückt, diesen Automaten immer ähnlicher und kann immer besser funktionieren. Aber er entfernt sich auch immer weiter von seiner eigenen Lebendigkeit. Und jetzt heißt die Frage, wie soll denn der jemals wieder Zugang zu seiner eigenen Lebendigkeit finden und …

Anke Genius: Darf ich nochmal ganz …

Prof. Dr. Hüther: … da ist dieser Vorschlag ganz nett, Du könntest eigentlich ‚‘nen bisschen liebevoller mit Dir umgehen.

Anke Genius: Okay. Sehr sehr spannend! Also ich fass nochmal eben zusammen. Das heißt, wir sehen zum Beispiel Grundschüler vor uns oder auch Kinder jetzt, die andere Kinder nicht treffen dürfen coronabedingt. Da sagen Sie, das ist so eine starke Unterdrückung der Bedürfnisse, wie wenn jetzt jemand eine Liebesbeziehung hat und da auf Entzug lebt? Das ist also wirklich vergleichbar?

Prof. Dr. Hüther: Ja, das ist … - und das halte ich auch für enorm gefährlich. Am Anfang sieht’s man ja noch nicht so schnell, weil das innerhalb der ersten 4 Wochen oder bei dem ersten Corona-Lockdown noch nicht so zum Tragen gekommen ist. Aber jetzt sehen wir ja, was passiert!
Jetzt gibt es Kinder, die haben so lange ihr Bedürfnis mit der Oma zu kuscheln, unterdrücken müssen – und zwar nicht, weil es verboten war, sondern, weil sie es selbst nicht wollten. Das ist noch viel schlimmer. Wenn ich einem Kind was verbiete, dann geht das Bedürfnis nicht weg. Aber wenn das Kind sich selbst etwas verbietet, dann geht das nur über die Unterdrückung dieses Bedürfnisses. Und jetzt haben wir viele Kinder, die das Bedürfnis, mit der Oma zu kuscheln oder das Bedürfnis mit Anderen zu spielen, so effektiv unterdrückt haben, dass da im Hirn hemmende Vernetzungen drüber gewachsen sind. Und dann kann man den Lockdown aufheben, man kann sagen ‚Du kannst wieder zur Oma‘, und dann kommt das Kind mit der Oma gar nicht zurecht! Es will vielleicht gar nicht mehr hin!

Anke Genius: Was braucht denn das Kind dann, damit es wieder einen Zugang findet zur Oma und zu anderen Kindern?

Prof. Dr. Hüther: In dem Fall, wenn wir’s an der Oma festmachen, braucht es eine unglaublich feinfühlige Oma, die jetzt spürt, dass das Kind fremdelt und die das weiß, dass das Kind jetzt ein Problem hat und die nicht drüber beleidigt ist, dass das Kind nicht wie vorher einfach auf sie zugesprungen kommt. Und dann kann diese Oma, wenn sie das hinkriegt, ganz vorsichtig die Beziehung zu dem Kind wieder neu aufbauen. Aber da ahnen Sie, was das bedeutet!

Anke Genius: Absolut. … nicht alle wären so feinfühlig …

Prof. Dr. Hüther: …Das ist fast wie ein Neuaufbau der gesamten Beziehung!

Anke Genius: … ja.

Prof. Dr. Hüther: Und jetzt stellen Sie sich vor, das passiert mit dem Kind, mit seinem Bedürfnis, mit anderen zu spielen! Die anderen wissen ja auch nicht, was mit ihnen passiert ist. Das heißt, wer übernimmt jetzt diesen Neuaufbau dieses Bereiches? Oder wer öffnet das Kind wieder für diese Freude am Spielen?
Und deshalb sag ich, liebe Eltern, versucht bitte, Euren Kindern so sehr wie möglich in den Zeiten, wo sie nicht mit der Maske rumlaufen müssen und die Abstandsregeln und Alles einhalten müssen, das Leben so freudvoll zu gestalten, seid so liebevoll zu ihnen, tanzt mit ihnen, spielt mit ihnen, geht raus mit ihnen. Aber hört auf, die noch länger an dem Onlineunterricht in der Schule festzuhalten, indem ihr selber noch versucht, den verloren gegangenen Lernstoff mit dem Kind nachzuarbeiten und damit die letzten paar Augenblicke im Tagesverlauf auch noch verloren gehen, wo das Kind eigentlich mal wieder spüren könnte, dass es lebendig ist.

Anke Genius: Sind Kinder da in diesem Zusammenhang eigentlich besonders gefährdet? Oder trifft das auch alle Menschen?

Prof. Dr. Hüther: Prinzipiell trifft das auf alle Menschen zu. Ich hatte kürzlich einen, der ist 80 und der schrieb mir, er hat immer so gerne Bridge gespielt mit seinen Freunden. Und jetzt geht das schon seit 1 Jahr nicht mehr. Und jetzt hat er gar keine Lust mehr. Das heißt also, selbst 80-Jährigen geht das so, dass die dann nicht mehr wollen.
Und ein Kind – wenn wir jetzt ein 7-jähriges Mädchen uns vorstellen –, das 1 Jahr diese Bedürfnisse tapfer unterdrückt hat, so dass die regelrecht zugewachsen sind im Hirn, dann ist das ungefähr vom Zeitraum her so, als würde ich als 70-Jähriger das schon seit 10 Jahren so machen!

Und dann müssten eigentlich erwachsene Menschen erschrecken. Weil, da weiß jeder, dass selbst so einer wie ich nach 10 Jahren unter diesen Bedingungen nicht mehr so sein kann – und vielleicht nie wieder so wird – wie vorher.
Das ist eine dramatische Angelegenheit! Und jetzt kommen ja auch die Kinder- und Jugendpsychiater und die Kinderärzte und sagen „Das könnt ihr den Kindern nicht mehr länger antun.“ Da sind so viele Kinder, die sämtliche Freude am Leben verloren haben, die eigentlich in einen Zustand kommen, den nennt man dann Depressivität, Resignation, Lebensunlust. Es ist auch offenbar die Anzahl der Kinder, die sich selbst umbringen, gewachsen. Also das sind schon dramatische Zeichen! Und da wird es wirklich höchste Zeit, dass diese Gesellschaft wach wird!

Anke Genius: Absolut.
Das heißt, Eltern, das haben Sie ja gerade schon beschrieben, was Eltern tun können. Wenn das Menschen im Erwachsenenalter, im fortgeschrittenen Alter so passiert, die das so bei sich wahrnehmen, dass sie – obwohl sie’s mittlerweile vielleicht könnten – ja, gar nicht mehr dieses Bedürfnis haben, anderen Menschen nahe zu sein, sich mit denen zu treffen und auszutauschen. Was würden Sie denen denn empfehlen?

Prof. Dr. Hüther: Das ist genau der Ansatz, der in dem Buch dann verfolgt wird und den wir auch mit einer Initiative noch verstärken. Im Internet gibt es eine Webseite, die heißt www.liebevoll.jetzt. Und das ist auch die Antwort auf Ihre Frage: Jeder Mensch kann zu jedem Zeitpunkt sich bei dem, was er tut, fragen, ob er das jetzt unbedingt machen muss oder ob er es nicht macht, weil es ihm nicht gut tut.
Und da kann man bei den Kleinigkeiten des Lebens anfangen. Also, wenn Sie am Bäckerladen vorbeigehen, müssen Sie nicht zwanghaft, wie sonst immer, da reingehen und sich so’n süßes Teil holen. Sondern Sie können auch sagen: Nee, das … eigentlich bekommt mir das gar nicht.
Sie müssen nicht an Orten essen auf der Straße, wo Sie wissen, das tut mir doch gar nicht gut, hier im Laufen zu essen. Sie müssen auch nichts essen mit ‘nem schlechtem Gewissen. Also dieses billige Steak, was Sie da irgendwo erworben haben und das Sie dann auf den Grill legen, das kann Ihnen ja gar nicht schmecken, weil Sie ja wissen, wo das herkommt und was das für eine Schweinehaltung ist, aus der dieses Produkt dann kommt. Und das gilt dann auch für Kleidungsstücke. Es tut einem doch nicht gut, und es ist auch sehr lieblos mit sich selbst, mit ‘nem schlechten Gewissen rumzulaufen, weil man da so’n billiges Kleidungsstück erworben hat, wo man weiß, unter welchen Bedingungen das in der 3. Welt von Frauen und Kindern zusammengenäht worden ist. Und so geht’s dann weiter abends beim Fernsehen. (Ich) … möchte wissen, wem das gut tut, vor dem Schlafengehen sich noch so’n blöden Krimi anzugucken? Oder die hundertste Diskussion über Corona. Einfach abschalten und sagen ‚Okay‘. Und dann passiert was Wunderbares:
Der Mensch, der das tut, der also in diesem Fall anfängt, liebevoll mit sich selbst umzugehen, erlebt dann, dass er einen freien Abend hat! Er wird wieder Gestalter seines eigenen Lebens. Er steigt aus dieser Tretmühle, aus diesem Hamsterrad aus, gewinnt Freiheit und Autonomie zurück inmitten der Enge, die da also tatsächlich im Augenblick herrscht. Und um das noch ein bisschen zu übertreiben, das kann sogar ein Häftling im Gefängnis. Bevor der ständig mit dem Kopf gegen die Wand läuft, kann der sich ja auch aufs Bett setzen und sich fragen, ob er jetzt nicht in dieser Zelle jetzt irgendwas machen könnte, was ihm gut tut. Und da bin ich sicher, dem fällt da auch irgendwas ein!

Anke Genius: Also das ist ja schon mal ein gutes Zeichen, das jeder in jeder Situation etwas Gutes für sich tun könnte. … ich habe so gerade die Idee, Sie haben da ein ganz neues Verständnis sowohl von Krankheit wie auch von Gesundheit. Was würden Sie sich da wünschen von der Politik?

Prof. Dr. Hüther: Die Politik kann ja immer nur eine Politik machen, die dazu führt, dass die betreffenden Vertreter aus der Politik, also die Politiker, wieder gewählt werden. Und deshalb kann ich mir von der Politik nichts wünschen, ich kann mir nur von den Bürgern unsres Landes etwas wünschen. Nämlich, dass die vielleicht so ein bisschen sich nochmal fragen, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Dass sie sich nicht umherjagen lassen wie aufgescheuchte Hühner, sondern nochmal nachdenken, was ihnen gut tut. Und sich dann fragen, ob sie Politiker wählen, die Beschlüsse fassen, die ihnen nicht gut tun. Und dann würden unter Umständen andere Politiker an diese Stellen nachrücken und dann hätten wir wahrscheinlich auch ‘ne andere Gesellschaft.

Aber der Veränderungsprozess beginnt nicht, indem die Politiker uns erzählen und uns Vorgaben machen, wie wir jetzt künftig zu leben haben. Also nur noch vegetarisch und nur noch in Mehrfamilienhäusern, die nach klimatischen Gesichtspunkten da optimal ausgerüstet sind und auch nicht, indem die uns erzählen, was uns alles gesund macht.

Sondern der wirkliche große Prozess der Veränderung beginnt damit, dass Menschen zur Besinnung kommen … und sich fragen, ob das, was sie da bisher für Vorstellungen verfolgt haben, ob das überhaupt ihre Vorstellungen sind? Ob es ihnen gut getan hat, das so zu machen, wie sie das mal irgendwann angefangen haben?
Und manche kommen dann zur Besinnung und sagen „Nee, mach ich nicht mehr“. Und ein Weg, um diesen inneren Verwandlungsprozess in Gang zu bringen, ist, dass man anfängt, darauf zu achten, dass man nichts mehr tut, was einem nicht gut tut.

Anke Genius: … das ist ein wunderbarer Satz, ja.

Prof. Dr. Hüther: … und bei der Gelegenheit, man mag sich dann auch selber mehr! Das kann man richtig so ahnen, dann findet man sich selber toll, wenn man jetzt nicht mehr einfach den Hamster macht im Rad. Sondern das ist ja ‘ne Art Aussteigen aus dem Rad. Und dann mag man sich selber mehr. Und Menschen, die sich selbst mehr mögen, die mögen auch andere mehr! Das heißt, man wird auf einmal ein liebevollerer Ehemann, man wird ein liebevollerer Vater, ein Partner. Und man wird auch merken, dass man dann auf einmal liebevoller in der Natur unterwegs ist. Also man ist auch liebevoller zu anderen Lebewesen und latscht da nicht irgendwie über die Frühjahrsblüher auf der Wiese und jagt durch den Wald und bringt die Rehe mit ihren Kitzen da vollkommen in Aufruhr. Dann geht man vorsichtiger mit sich selbst und der Welt um. Und das, glaube ich, können wir also alle sehr gut gebrauchen.

Anke Genius: Also dieses Liebevolle, Achtsame-für-sich-Selbst … strahlt dann quasi immer weiter?

Prof. Dr. Hüther: Das ist das, was ich vermute. Und ich weiß nicht, ob das jetzt schon, … (ob) die Zeit reif ist. Tatsache ist, dass ich so ein Buch vor 20 Jahren noch nicht hätte schreiben können. Da war die Zeit noch nicht so weit. Da war das Bewusstsein noch nicht so weit entwickelt bei vielen Menschen. Das wäre für esoterisch gehalten worden. Und dann wäre das in den Buchhandlungen auch im Esoterik-Regal gelandet. Und jetzt auf einmal kann ich so ein Buch schreiben, kann das naturwissenschaftlich – das ist ja verrückt! – naturwissenschaftlich begründen, warum Lieblosigkeit krank macht. Und jetzt landet das Buch auch nicht mehr in den Esoterik-Regalen, sondern auf den Bestsellerlisten vom Spiegel. Und da gehört es dann auch hin. Und indem viele Menschen sich das anschauen und diesen Gedanken, der für Viele auch neu ist, sich zu eigen machen, entsteht natürlich eine Bewegung. Und dann hat auf einmal die Politik ein anderes Volk vor sich. Das ist so, als ob man einem Reiter, der noch im Sattel sitzt, das Pferd wegnimmt! Das merkt der dann manchmal erst, wenn das Pferd schon ganz weg ist… (lacht).

Anke Genius: (lacht) Ja, auch ein gutes Bild! … Äh, darf ich nochmal einmal fragen? Sie sagten gerade, man kann es neurobiologisch begründen. Gibt es dazu schon Studien? Wie werden die gemacht? Können Sie das vielleicht auch nochmal kurz erklären?

Prof. Dr. Hüther: Dann müsste ich wirklich weit ausholen, weil …

Anke Genius: Ah, okay.

Prof. Dr. Hüther: … weil unser gegenwärtiges Wissenschaftsverständnis mit der Forderung nach evidenzbasierten, placebokontrollierten, doppelblind durchgeführten Studien dazu führt, dass wir eigentlich immer nur das nachweisen können, was placebokontrolliert, doppelblind gemacht werden kann.

Anke Genius: Also mit einer Kontrollgruppe immer, die quasi genau anders behandelt wird.

Prof. Dr. Hüther: Genau. Wir haben eine Kontrollgruppe und eine Versuchsgruppe. Und man vertauscht das noch und sie machen die Behandlungen so, dass die noch nicht einmal wissen, ob sie jetzt in der einen oder in der anderen Gruppe sind. Und dann kriegen sie objektive Tatsachen, die man auch wirklich als objektive wissenschaftliche Erkenntnisse dann in die Öffentlichkeit tragen kann. Das wird ja auch so gemacht. Wird ja auch so gefordert. Das Problem ist nur, dass sie am besten wissenschaftlich in dieser Weise diese Kriterien erfüllen können, indem sie also Pharmastudien machen. Da können sie placebokontrolliert, doppelblind testen, ob das eine besser ist als das andere.
Im Bereich der Psychotherapie ist das einzige, was da geht, Verhaltenstherapie zu prüfen. Und natürlich kann man da ‚‘nen bisschen doppelblind und placebokontrolliert eine Verhaltenstherapie machen. Und alles Andere – was aber vielleicht viel wirksamer ist, – also zum Beispiel Menschen zu helfen, liebevoll mit sich selbst umzugehen, das können sie weder doppelblind noch placebokontrolliert machen.
Und deshalb ist die Forderung, "Wo sind denn die wissenschaftlichen Studien, die das nachweisen?" an so ein Konzept vollkommen falsch. Es wird nie solche Studien geben. Aber es wird irgendwann mal auch in der Wissenschaft ein Prozess in Gang kommen, wo man begreift, das man hier eine Doktrin gefordert hat, die dazu führen muss, dass Wissenschaft eigentlich völlig irrelevante Ergebnisse produziert, indem das immer wieder nach der Forderung ‚doppelblind placebokontrolliert‘ durchgeführt wird. Das ist so, als ob … Sie kennen ja die banale Geschichte, dass da Einer unter einer Lampe herumsucht. Und dann kommt ein Anderer und sagt: ‚Warum suchst du denn hier und was suchst du denn?‘ Und dann sagt der: ‚Ich hab meinen Schlüssel verloren.‘ Und dann sagt der: ‚Und warum weißt Du denn, dass du den hier verloren hast? Dann sagt er: ‚Nee, aber hier ist Licht.‘ (lacht)

Anke Genius: (lacht)

Prof. Dr. Hüther: (wieder ernst) Das ist moderne Wissenschaft und die ist traurig.

Anke Genius: Ja, Professor Hüther, ich würde Sie zum Schluss gerne nochmal fragen nach Ihrem ganz persönlichen Gesundheitstipp, weil Sie so eine junge Ausstrahlung haben. Also, was ist so Ihr ganz persönlicher Gesundheitstipp?

Prof. Dr. Hüther: Na, Sie ahnen es ja schon…. Man muss versuchen, glaube ich wirklich, – und das kann ich allen, die uns hier zuhören, nur ans Herz legen, – einfach an irgendeiner Stelle mal anfangen und ausprobieren … nur ausprobieren, wie das ist, wenn man an irgendeiner Stelle mal etwas tut, was nicht der Routine entspricht, was nicht von einem verlangt wird, was man also tun muss, sondern was man auch tun will. Weil man es möchte und weil man weiß, das tut mir gut, wenn ich das mache.
Und … das ist, glaube ich, das Geheimrezept für diejenigen Menschen, die sich dann in ihrer eignen Haut wohlfühlen, die sich selber mögen, die nichts mehr machen, was ihnen schadet und die dann auch auf einmal – nebenbei! – viel länger gesund bleiben und auch nicht so schnell alt werden und auch mehr Freude am Leben als all die Anderen.

Anke Genius: Wie viele Jahre – darf ich das mal fragen? – haben Sie denn für sich gebraucht, um das so zu entdecken, für sich selber, als Ihr Lebenskonzept?

Prof. Dr. Hüther: Da hab ich ein ganzes Leben dazu gebraucht. Und – das ist aber das Schöne bei uns Menschen: Das muss nicht jeder einzeln für sich erleben dieses ganze Elend. Sondern, wenn Einer ‘ne Lösung findet, dann kann er das Anderen mit auf den Weg geben. Die müssen nicht alle dieselben furchtbaren Erfahrungen machen. Wir müssen nicht alle den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, um Pazifisten zu werden.

Anke Genius: Professor Hüther, ich danke Ihnen ganz ganz herzlich für das Gespräch. 

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Prof. Dr. Hüther: Ich danke Ihnen, alles Gute.

Anke Genius: Und ich danke Dir fürs Zuhören. Und wenn’s Dir gefallen hat, dann freue ich mich sehr über ein Like. Und wenn Du denkst, genau dieses Gespräch könnte auch für andere Menschen sehr spannend sein, dann leite es gerne weiter. Bis bald! Wir hören uns.