26. Juni 2023 - 90-Jährige, die ihren Haushalt allein schmeißen oder auf Reisen gehen. Viele Menschen werden heute uralt – und sind dabei noch erstaunlich fit. Ernährung, Bewegung, soziale Einbindung – das sind die drei wichtigsten Faktoren, um gesund zu altern. Dass diese Dinge das Krankheits- und Demenzrisiko senken, weiß man aus etlichen epidemiologischen Studien. Daten des Robert Koch-Instituts zeigen aber noch etwas anderes: Menschen mit niedrigem Sozialstatus sind häufiger krank und sterben früher als sozial bessergestellte.

Allerdings heißt das nicht, dass man ein Abitur haben muss, um sich gesund zu ernähren und aktiv zu sein. Die einfache Frau auf dem Land, die sich bis ins hohe Alter noch um Haus und Garten kümmert, kann unter Umständen gesünder sein als die gleichaltrige, einsame Studienrätin in der Großstadt. Nur ist es bei Menschen mit niedrigem Sozialstatus häufig so, dass sich zu Bewegungsmangel und schlechten Essgewohnheiten weitere Risikofaktoren summieren, wie beispielsweise Rauchen, Alkohol und Übergewicht.

Ungesunde Lebensstile seien eher in Gesellschaften zu finden, wo die traditionelle Männerrolle noch verbreitet sei, sagt Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Christiane Dienel, Geschäftsführerin des Nexus Instituts und Staatssekretärin Gesundheit a.D.. Erstaunlicherweise blickt sie dabei auf Deutschland. Wir haben nachgefragt, was uns von anderen europäischen Ländern unterscheidet und was noch wichtig für gesundes Altern ist.

Ist Deutschland kein emanzipiertes Land, Prof. Dienel?

Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen bei uns überdurchschnittlich groß, größer als in Norwegen und Schweden zum Beispiel. Bei uns gibt es auch mehr Übergewichtige und es wird mehr geraucht und mehr Alkohol getrunken als in vielen anderen europäischen Ländern – was immer ein Zeichen für die traditionelle Männerrolle ist. Das ist auch einer der Gründe, warum Deutschland bei der Lebenserwartung im EU-Vergleich nur im hinteren Drittel liegt.

In Deutschland wird der größte Teil der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, und zwar meist von Frauen. Ist das eigentlich noch zeitgemäß?

Ich bin da sehr ambivalent. Viele Ältere wünschen sich ja, dass sie im Alter nicht in einem Heim, sondern familiär versorgt werden. Auf der anderen Seite muss man nüchtern sagen, dass das in unserer modernen Gesellschaft dem Anspruch auf Selbstverwirklichung der Jüngeren entgegensteht. Und es sind die Frauen, die zurückstecken müssen. Wer das so für sich entscheidet, soll bitte auch unterstützt werden. Aber ich denke, dass wir künftig andere Formen des sozialen Zusammenlebens sehen werden. Stichwort Alters-WG oder Sharing Ökonomie. Auch die telebasierten Möglichkeiten werden große Vorteile für die Selbstständigkeit im Alter haben. Die junge Generation wächst ja damit auf. Ich glaube, wenn man auf Dauer die Pflege in der Familie fordert, ist das Sozialromantik. Eine gute Sozialpolitik fängt für mich damit an, dass man dafür sorgt, dass die Menschen im Alter noch vor die Tür kommen, etwa durch eine altersgerechte Städteplanung und Mobilitätspolitik.

Sie haben sich auch in der Kampagne „Es geht um Ganze“ engagiert. Aus privater oder aus beruflicher Überzeugung?

Beides. Die Stärke von Integrativer Medizin ist ja, dass sie die Eigenverantwortung der Person gegenüber ihrer Gesundheit betont. Das ist auch das Zentrale, was Menschen gesund altern lässt. Dass sie selbst handelnde Subjekte sind und nicht Objekte eines medizinischen Versorgungssystems. Ein langes, gesundes Leben wird nicht dadurch erreicht, dass wir noch ein Krankenhaus bauen, und auch zehn weitere Herzkatheterstationen bringen nichts für die Lebenserwartung. Dass die Menschen selbst etwas für ihre Gesundheit tun – das macht den Unterschied.

ham

(c) Foto via Pexels: Wellness Gallery Catalyst Foundation

Prof. Dr. Christiane Dienel ist Protagonistin unserer Kampagne "Es geht ums Ganze". Hier könnt ihr euch ein Interview mit ihr ansehen: 

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