25. Oktober 2022 - Im ersten deutschen Bürgergutachten Gesundheit haben Bürgerinnen und Bürger vor einem Jahr Vorschläge erarbeitet, wie das Gesundheitssystem der Zukunft aussehen soll und welche Veränderungen dazu nötig sind. Auftraggeber waren unsere Bündnispartner Gesundheit Aktiv e.V. und Natur und Medizin e.V. weil's hilft! greift die wichtigsten Ergebnisse in loser Abfolge auf und beleuchtet sie genauer. Zum Thema Arzt-Patient:innenkommunikation haben wir mit Dr. Christian Grah gesprochen, Leitender Arzt Pneumologie und Lungenkrebszentrum am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe und Verfasser des Buches: Kommunikation bei Lungenkrebs. 

Im Bürgergutachten Gesundheit forderten die Teilnehmer:innen eine intensive und individuelle ärztliche Betreuung. Dazu gehörten neben einer schnellen Terminfindung und Behandlung, vor allem eine engere, verständliche, ganzheitliche und kontinuierliche Beratung und Begleitung durch den Arzt / die Ärztin sowie eine individuelle und langfristige Aufklärung zur Behandlung. Warum ist dies in unserem Gesundheitssystem oft so schwierig?

Dies ist eine der zentralen Fragen unseres Gesundheitssystems. Denn traditionell erklärt in diesem System seit Jahrhunderten ein Wissender einem Unwissenden, was er tun und lassen soll, damit es ihm wieder besser geht. Diese paternalistische Haltung hat sich insbesondere in den letzten 20 Jahren durch die Digitalisierung grundlegend geändert: Die Menschen, die zum Arzt beziehungsweise zur Ärztin kommen, haben das Wissen nun quasi in der Hosentasche. Damit entsteht aber ein neues Problem, denn dieses Hosentaschen-Wissen muss durch die Erfahrung der Ärzt:innen eingebettet und bewertet werden. Zugleich gibt es den Anspruch auf Evidenz, das heißt, ein gesichertes medizinisches Wissen, dessen Richtigkeit in Studien bewiesen und in Leitlinien zusammengefasst ist und an dem sich Ärzt:innen orientieren. Dieses Wissen muss dann wiederum individualisiert, das heißt für den konkreten Patienten / die konkrete Patientin angewandt werden. Dieser Prozess von einem traditionellen, paternalistischen System des Wissensaustauschs in eine neue, partizipative Entscheidungsfindung über die richtige Behandlung zu kommen, ist derzeit noch nicht abgeschlossen. 

Was genau sind denn die Herausforderungen einer solch partizipativen Entscheidungsfindung? 

Partizipative Entscheidungen zu treffen ist eine hohe Kunst, die ein Sich-Einlassen aufeinander erfordert, von Arzt-/Ärzt:innseite ebenso wie von Patient:innenseite. Unser Gesundheitssystem hat diesen komplexen Prozess noch nicht als eine zentrale Aufgabe der Medizin erkannt und bezahlt ihn entsprechend auch nicht.  Das Verordnen eines Antibiotikums oder das Wegschneiden eines Blinddarms werden bezahlt, die zugrundeliegende Beratungsleistung wird hingegen nicht bezahlt. Den Ärztinnen und Ärzten fehlt damit der Anreiz, sich auf eine solch gemeinsame Entscheidungsfindung einzulassen. 

Hinzu kommt: Der andauernde Veränderungsprozess rührt an den Wesenskern des ärztlichen Selbstverständnisses: Es geht letztendlich darum, die Bewertung von Krankheit und Gesundheit als ein zentrales Element der eigenen Arbeit zu erkennen und transparent zu machen. Diese Aufgabe ist hochindividuell und hochkünstlerisch, denn man muss lernen, den Menschen zu erfassen und herauszufinden: Was braucht er jetzt? Welche Art der Information kann er aufnehmen? Kurz und knapp oder eher ausführlich? Was kann er überhaupt in diesem Moment verarbeiten, zum Beispiel bei einer Krebsdiagnose? Der /die Betroffene braucht Zeit, um zu verstehen, welche Veränderungen in seinem Leben jetzt auf ihn zukommen. Die Art, wie Ärzt:innen hier kommunizieren, schafft im besten Fall Vertrauen und beeinflusst damit wesentlich die Bereitschaft der Patient:innen, sich auf die Behandlung einzulassen und damit die Wirksamkeit der Therapie.  

Partizipative Entscheidungsfindung setzt also eine gute Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen voraus? 

Absolut. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Art der Kommunikation zwischen Patient:innen und Ärzt:innen Einflus auf die Wirksamkeit der Therapie hat. Diesen Aspekt nennen wir verkürzend und oft abwertend Placeboeffekt: Ein Medikament wirkt zum Beispiel unterschiedlich gut, wenn ich entweder als Arzt sage: ‘Ich gebe ihnen ein starkes Schmerzmittel, das sich meiner Erfahrung nach hervorragend bewährt hat.’ Oder ob ich sage: ‘Hier verschreibe ich Ihnen ein Mittel, nehmen sie das mal.’ Diese Unterschiede in der Kommunikation sind noch zu wenig in die medizinische Behandlung eingebunden. Noch schlimmer: Durch die Kombination von Keine-Zeit, Kein-Gespräch, Keine- Partizipation entsteht das Gegenteil: Misstrauen gegenüber der Therapie, Angst vor Nebenwirkungen, fehlende Bereitschaft, sich auf die Therapie einzulassen, ein sogenannter Nocebo-Effekt. Diese Prozesse müssen sowohl in der Gesellschaft als auch in den Entscheidungsgremien der Kostenträger Berücksichtigung finden: Denn das stärkste Mittel, das der Arzt zur Verfügung hat, ist das gesprochene Wort. 

Dazu gehört auch, eine möglichst kontinuierliche, vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt / Ärztin und Patient:in. Diese Beziehung wird in unserem System ebenfalls unterbewertet, oftmals sehen Patient:innen bei jedem Besuch wechselnde Ärzt:innen. Patient:innen haben aber die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, sie können eine kontinuierliche Beratung anmahmen und haben, falls sie sich nicht angemessen gesehen und verstanden fühlen, die Möglichkeit, sich woanders behandeln zu lassen. In diesem Sinne haben wir in Deutschland ein sehr gutes Gesundheitssystem, denn die Patient:innen entscheiden, wo sie hingehen möchten.  

Neben einer vertrauensvollen Beziehung: Was macht denn eine gute Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen aus? 

Wichtig ist, sich grundsätzlich klarzumachen: Wenn Arzt / Ärztin und Patient:in zusammenkommen, gilt natürlich auch der Satz von Paul Watzlawick: ‘Man kann nicht nicht kommunizieren.’ Allerdings gilt ebenso: Sich auch zu verstehen, ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Darüber müssen wir uns bewusstwerden. Sich auf einer tieferen Ebene zu verstehen, hängt mit dem persönlichen Umfeld und den unausgesprochenen Annahmen und Empfindungen sowie den Intentionen jedes Menschen zusammen - sowohl auf Arzt- als auch auf Patient:innenseite. Die Aufgabe von beiden Seiten ist es, das bestmögliche Verständnis herzustellen. Dazu braucht es einen Raum der Wertschätzung, in dem sich beide bemühen, einander zu verstehen.  

Das ist nicht nur eine Frage der Zeit, sondern auch der Haltung, sowohl beim Arzt / der Ärztin als auch bei den Patient:innen. Patient:innen kommen in der Regel mit einer konkreten Erwartung und einer Not, Ärzt:innen hingegen mit einer Routine und einem Zeitdruck. Patient:innen erzählen ihr Anliegen meist zum ersten Mal, Ärzt:innen haben das Gesagte schon unzählige Male in anderen Zusammenhängen erwähnt. Auf diese völlig unterschiedlichen Ausgangslagen müssen sich beide einlassen, die unausgesprochenen, emotionalen Anteile eingeschlossen. Erst dann ist eine menschliche Begegnung möglich, die letztendlich das Geheimnis des Erfolgs ist.  

Ein gutes Arzt-Patient:innen-Gespräch lebt also in erster Linie von menschlicher Begegnung und weniger von kommunikativen Techniken? 

Beides ist wichtig, aber die menschliche Begegnung ist das zentrale. Viele Ärztinnen und Ärzte haben eine Scheu, diese menschliche Begegnung zu suchen, weil sie denken, sie bewegen sich damit auf einer privaten Ebene. Das ist aber nicht der Fall, sondern im Gegenteil: Diese Begegnung ist eine hochprofessionelle Ebene und die Voraussetzung für humane Medizin. Es ist entscheidend, dass wir uns als menschliche Wesen wahrnehmen und nicht nur als Objekte. Das geht auch in einem ganz kurzen Gespräch und hat weniger mit Wörtern beziehungsweise verbaler, sondern mehr mit nonverbaler Kommunikation zu tun. Darüber hinaus sind natürlich auch eher technische Aspekte, wie beispielsweise die Sprechgeschwindigkeit wichtig. Das muss gelernt und geübt werden wie ein Musikinstrument. Deshalb glaube ich, dass Kommunikation letztendlich eine Kunst ist, die wir als Ärzt:innen professionell trainieren müssen. Und auch die Patient:innen müssen lernen, sich ein Stück weit in eine solche Begegnung einzuschwingen. Nur dann können sie etwas mitnehmen, was ihnen wirklich weiterhilft. Wie zwei Menschen einen Luftballon hochwerfen, hin- und herspielen und dafür sorgen, dass er nicht den Boden berührt, entsteht in einem guten Arzt-Patient:innengespräch der eigentliche Sinn erst in der gegenseitigen Begegnung. Arzt / Ärztin und Patient:in sind beide aufgerufen, diesen Sinn gemeinsam zu finden. Dann wird das Arzt-Patientengespräch ein co-kreativer, künstlerischer Prozess. Wenn das gelingt, entsteht etwas ganz Neues, was weder der Arzt / die Ärztin noch die Patient:in vorher wusste. Und genau das ist es, was dem kranken, leidtragenden Menschen weiterhilft in Richtung Gesundheit.  

Was können denn Patient:innen ganz praktisch tun, um ein gutes Gespräch mit ihrem Arzt / ihrer Ärztin führen zu können? 

Auch Patient:in sein, muss man lernen, ist ein Weg: Es ist zum Beispiel hilfreich, wenn Patient:innen sich fragen und bewusst machen: Was kann ich selbst tun? Und wenn ich unzufrieden bin, was kann ich verändern? Für Patient:innen ist es auch wichtig, vorbereitet in ein Gespräch gehen, sich vorab Fragen zu notieren. Und auch am Ende des Gesprächs noch einmal zu versuchen, das für sie Wichtigste zusammenzufasssen oder nach einer Zusammenfassung zu fragen, im Sinne von: Was ist das Wichtigste, was ich mir merken sollte? - Das Entscheidende für Patient:innen ist, sich als gleichberechtigte Partner in einer Gesprächssituation zu sehen.   

Im Buch Kommunikation bei Lungenkrebs von Dr. Christian Grah findet ihr noch mehr Infos rund um das Thema Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen. 

Zitate:  

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Das stärkste Mittel, das der Arzt zur Verfügung hat, ist das gesprochene Wort.  

Die Arzt-Patientenkommunikation ist ein co-kreativer künstlerischer Prozess. 

Das Entscheidende für Patient:innen ist, sich als gleichberechtigte Partner in einer Gesprächssituation zu sehen.