06. Juni 2023 - Wie funktioniert der menschliche Körper? Welche Krankheiten gibt es? Und wie kann man sie heilen? Medizin zu studieren bedeutet, eine Menge anspruchsvollen Stoff zu lernen, und das über mindestens sechs Jahre. Dieser Stoff wird im Zuge des medizinischen Fortschritts und des exponentiellen Wissenswachstums immer mehr. Da ist kaum Raum für komplementäre Medizinsysteme.

Antje Brameyer bedauert das. Die Medizinstudentin aus Berlin hat gerade ihr zweites Staatsexamen geschrieben. Außer Fragen zu Wechselwirkungen zwischen Grapefruitsaft und Medikamenten und zur Wirkung von Johanniskraut sei darin praktisch nichts vorgekommen, was man als Komplementärmedizin bezeichnen könnte. „Die Route ist stark vorgegeben“, sagt sie. Und Naturheilkunde spiele dabei kaum eine Rolle. „An der Charité passiert zwar eine Menge auf diesem Gebiet, aber eben noch nicht im normalen Curriculum.“

In Berlin organisieren Studierende Akupunkturkurse

Bei Interesse können Medizinstudierende an der Charité entsprechende Zusatzveranstaltungen zum eigentlichen Lehrplan besuchen. Antje hat zum Beispiel kürzlich einen Kurs in Mind-Body-Medizin absolviert, der von Prof. Brinkhaus, dem Leiter der universitären Hochschulambulanz für Naturheilkunde geleitet wurde. Andere Tutorien wie etwa Akupunkturkurse werden von den Studierenden selbst geleitet. Angebote sind also da, nur sind sie freiwillig und stehen in Konkurrenz zu den vielen Lehrplanveranstaltungen. „Man muss als Student schon Eigeninitiative zeigen, wenn man mehr über komplementäre Medizin und Heilverfahren wissen möchte.“
Antje möchte das, weil sie nach eigenen Angaben die Grenzen der Schulmedizin erkennt, etwa im großen Bereich der psychosomatischen Erkrankungen oder in der Schmerztherapie. Damit ist sie offenbar nicht allein. „Ich sehe auch ein großes Interesse unter meinen Kommilitonen“. Die Medizinstudentin findet, dass man als Ärztin oder Arzt zumindest Bescheid wissen müsse über Phytotherapie und andere naturheilkundliche Heilmethoden, auch wenn man sie selbst vielleicht nicht anwenden würde. „Schließlich werden wir doch später mit solchen Fragen von unseren Patienten konfrontiert.“

Der Lehrplan ist voll

Ob sich am Lehrplan künftig etwas ändern wird? Immerhin gibt es an deutschen Universitäten inzwischen zehn Lehrstühle für Naturheilkunde. Aber selbst Deutschlands wohl bekanntester Lehrstuhlinhaber auf diesem Gebiet ist skeptisch. Das Medizinstudium sei heute schon so voll gepackt mit Detailwissen, sagt Charité-Professor Andreas Michalsen, und überfordere viele Studierende. „Wir bieten es an, aber da ist nicht viel Spielraum für die Naturheilkunde.“
Was bleibt, ist später eine zusätzliche Ausbildung draufzusatteln. Um die Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren“ zu erlangen, muss man allerdings schon eine Facharztanerkennung in der Tasche haben.

Studiengang Public Health nimmt Vogelperspektive ein

Und wie sieht es im Studiengang Public Health aus? In diesem Fach geht es um die Gesundheit auf Bevölkerungsebene und die politischen und sozialen Rahmenbedingungen wie Versorgungsstrukturen und Gesundheitssysteme. Rebecca Gürtler studiert es im Masterstudiengang an der Berlin School of Public Health, eine gemeinsame Einrichtung von Charité, TU Berlin und Alice Salomon Hochschule. Berührungspunkte mit Naturheilverfahren gebe es in ihrem Studium nicht, sagt sie. Das liegt ihrer Ansicht nach daran, dass Public Health eher methodisch ausgerichtet ist und sich nicht mit medizinischen Verfahren befasst.
Dennoch sieht die studierte Bachelor-Physiotherapeutin hie und da Anknüpfungspunkte, etwa beim Schwerpunkt Forschung, wo es fast ausschließlich um schulmedizinische Studien gehe. „Die Naturheilkunde fällt da durchs Raster“, erzählt sie. „Das ist schade, denn wir sind es, die später mal das Gesundheitssystem mit umkrempeln sollen. Das heißt, wir müssen schon diese Perspektive reinbringen und in Richtung Krankenkassen tragen.“
Von einem idealen Gesundheitssystem wünscht sich Rebecca, dass nicht allein gefragt wird, was macht uns krank, wie in der Schulmedizin üblich, sondern, was hält uns gesund. „Und das ist auch im Sinne von Public Health.“

ham

(c) Foto via Unsplash: Dom Fou

 

Rebecca Gürtler und Antje Brameyer sind Protagonistinnen unserer Kampagne "Es geht ums Ganze". Hier könnt ihr euch Interviews mit den beiden ansehen: 

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