17. Juli 2023 - Diese Zahl sollte dem Bundesgesundheitsminister zu denken geben: Fast 60 Prozent der Deutschen haben wenig oder kein Vertrauen, dass die Politik auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige und bezahlbare medizinische Versorgung für alle sicherstellt. Kein gutes Zeugnis ist das Umfrageergebnis aus dem Februar 2023 auch deshalb, weil der Vertrauensverlust enorm ist. Im Jahr 2020 zweifelten nur 30 Prozent der Befragten die Fähigkeiten der Politik an, künftig für eine entsprechend gute Gesundheitsversorgung zu sorgen. Beide Ergebnisse stammen aus Untersuchungen des Bosch Health Campus, für die das Forsa Institut jeweils 1.800 Personen ab 18 Jahren befragt hatte.

„Die Bevölkerung verliert das Vertrauen in die Gesundheitspolitik“, kommentiert Dr. Bernhard Straub von der Robert-Bosch-Stiftung in einem Gastbeitrag das aktuelle Studienergebnis. Das sei „alarmierend“. Zwar hat die Studie nicht direkt nach den Gründen für den Vertrauensverlust gefragt, doch aus den formulierten Wünschen an das Gesundheitssystem lässt sich zwischen den Zeilen einiges ablesen. Straub etwa sieht im „langsamen und unentschlossenen“ Handeln der Politik eine der Ursachen. Als Beispiel nennt er die schleppende Digitalisierung. Die jetzt veröffentlichte Umfrage belege zum wiederholten Mal, dass sich die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wünsche, „die Möglichkeiten der Digitalisierung auch im Gesundheitsbereich stärker zu nutzen“, so Straub. Die Mehrheit sei auch zum Teilen der eigenen Daten bereit, um etwa die Versorgungsforschung zu unterstützen.

Zeitmangel macht die Menschen unzufrieden

Doch nicht nur im Bereich der Digitalisierung klafft es zwischen den Wünschen der Bevölkerung und der Wirklichkeit. Mehr als 90 Prozent der Befragten wünschen sich, dass Patient:innen schneller Termine bekommen, dass medizinisches Personal mehr Zeit für Patient:innen hat und dass sich die Arbeitsbedingungen für medizinisches und pflegendes Personal verbessern. Daraus kann man nur eines schließen: Zeitdruck und Personalmangel sind in der täglichen Versorgung angekommen und prägen das Meinungsbild.

So stellt die Ärztekammer Westfalen-Lippe eine “sinkende Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem und der medizinischen Versorgung“ in der Bevölkerung fest. „Die Kolleginnen und Kollegen können sich nicht ausreichend Zeit nehmen für ihre Patientinnen und Patienten“, sagt Kammerpräsident Dr. Hans-Albert Gehle. „Die Menschen merken das und sind unzufrieden.“

Gesundheitswesen hat enorm an Ansehen verloren

Gestützt wird diese Behauptung durch den PWC Healthcare-Barometer 2023, der 1.000 Erwachsene befragte. Demnach sind im ambulanten Bereich aktuell nur noch 37 Prozent mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin zufrieden. 2020 waren es noch 41 Prozent. Der häufigste Grund für die Unzufriedenheit ist Zeitmangel. 36 Prozent der Befragten bemängeln das. Weitere Kritikpunkte: Die Patient:innen fühlen sich vom medizinischen Personal nicht ernst genommen oder finden die Öffnungszeiten der Praxis problematisch.

Laut Healthcare-Barometer hat das deutsche Gesundheitssystem in den letzten drei Jahren insgesamt enorm an Ansehen eingebüßt. Während im Jahr 2020 noch 72 Prozent der Bürgerinnen und Bürger dem deutschen System Bestnoten ausstellten, sind es derzeit nur noch 57 Prozent, die es zu den Top-3-Systemen weltweit zählen. Fast alle Bereiche mussten demnach Verluste verkraften. So sank die Zufriedenheit mit der Versorgung in Krankenhäusern gegenüber 2020 von damals 72 Prozent auf jetzt 51 Prozent.

Beide Umfragen ergänzen sich gut und zeigen: Wo die Zufriedenheit sinkt, sinkt auch das Vertrauen in die Politik.

„Die sinkenden Zustimmungsraten zum deutschen Gesundheitswesen sollten uns aufrütteln. Wir benötigen dringend eine Reform, die unser Gesundheitswesen zukunftsfähig macht – nicht nur ein Reförmchen oder Stückwerk wie bisher“, sagt Michael Burkhart, Leiter Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland. Und er bedauert: „Dem Gesundheitssektor ist es nicht gelungen, die Chancen der Krise während der Pandemie zu nutzen.“

ham

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