Die Corona-Pandemie bringt zahlreiche Einschränkungen mit sich. Viele sehen sich dadurch sogar in ihren Grundrechten beschnitten. Um in Zukunft auch wieder mehr Normalität zulassen zu können, hatte Gesundheitsminister bereits Ende April dieses Jahres vorgeschlagen, für alle, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden hatten, einen sogenannten Immunitätsausweis einzuführen. Mit diesem sollten Genesene wieder mehr Freiheiten bekommen. Besonders Beschäftigte im Gesundheitswesen sollten davon profitieren, so der Vorschlag in dem Gesetzesentwurf.  

Doch Spahn schränkte gleichzeitig seinen eigenen Vorschlag ein. Die Begründung: Es fehle derzeit an wissenschaftlichen Beweisen, dass und wie lange Covid-19-Genesene wirklich immun gegen eine nächste Ansteckung seien. Auf den Vorschlag des Ministers zu einem Immunitätspapier folgten mehrere kontroverse Debatten. Auch die Weltgesundheitsorganisation warnte bereits vor solchen Freischeinen. Spahn legte die Idee zum Immunitätsausweis zunächst auf Eis. Zudem wurde die Angelegenheit dem Deutschen Ethikrat übergeben.

Ethikrat erteilt Immunitätsausweis Absage

Dieser meldet sich nun mit einer eindeutigen Stellungnahme zu Wort und rät derzeit von der Verwendung von Immunitätsausweisen ab. „Der Grund hierfür liegt in den nach wie vor bestehenden, teils erheblichen Erkenntnisdefiziten im Hinblick auf das neuartige Coronavirus. Nicht zuletzt sind zwischenzeitlich Fälle der Reinfektion nach bereits durchgemachter Krankheit bekannt geworden. So lässt die vorhandene Studienlage nicht mit der – angesichts des mit dem Virus einhergehenden Risikos – notwendigen Zuverlässigkeit den Schluss zu, dass eine einmalige Infektion zu Immunität und Nichtinfektiosität führt. Auf der Basis dieser Sachlage wäre der Einsatz von Immunitätsnachweisen, an die gegebenenfalls sogar die Rücknahme von Corona-Schutzmaßnahmen gebunden wäre, gefährlich. Ein Immunitätsausweis hält schlicht nicht, was er verspricht, sondern vermittelt derzeit allenfalls eine Scheinsicherheit“ erklärt Frauke Rostalski, die Rechtswissenschaflterin und Hochschullehrerin an der Universität Köln und Mitglied im Ethikrat ist.

Während die Hälfte der insgesamt 24 Ratsmitglieder bei besserem Kenntnisstand zur Ausbildung der Immunität einen „stufenweisen, anlass- und bereichsbezogenen Einsatz von Immunitätsausweisen“ befürwortet, ist die andere Hälfte dagegen. Begründet wird die Haltung der zweiten Gruppe mit dem Risiko der Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Alle Bürger*innen mit bescheinigter Immunität bekommen dann Sonderrechte. „Dies erscheint mir besonders gefährlich, … etwa wenn der Zugang zum Supermarkt, zum Restaurant oder die Mitnahme im Flugzeug zum Antritt einer Urlaubsreise von dem Nachweis der Immunität abhängig gemacht wird“, erklärt Rostalski. Hinzu käme, dass einzelne versuchen könnten, sich bewusst mit Covid-10 anzustecken, um ebenfalls in den Genuss wiedererlangter Freiheit zu gelangen.

Denkbar sei außerdem, dass die Bereitschaft zur Einhaltung der Schutzmaßnahmen von nicht-immunen Personen sinke, wenn diese  beobachten, dass Immune von  Corona-Schutzmaßnahmen entbunden würden. Rostalski betont laut Mitteilung, dass es jedoch eine Ausnahme gebe: „Eine Ausnahme bildet für mich allein der Kontakt von Angehörigen zu vulnerablen Personen wie zum Beispiel alten oder kranken Menschen. Nähe und zwischenmenschliche Wärme können hier Leben retten. Das sollten wir gerade in der Pandemie nicht vergessen. Wenn also unsere Erkenntnisse über das Virus soweit gereift sind, dass wir unter bestimmten Bedingungen in hinreichendem Maße von Immunität und Nichtinfektiosität ausgehen können, muss Immunen der Kontakt zu nahen Angehörigen, die etwa in Alten- und Pflegeeinrichtungen leben, gewährt werden.

Die vollständige Stellungsnahme des Ethikrates umfasst 55 Seiten.