31. Mai 2023 - Professor Andreas Michalsen ist Chefarzt am Immanuel Krankenhaus Berlin, Professor für Klinische Naturheilkunde an der Charité und Autor des Bestsellers Heilen mit der Kraft der Natur.

 

Herr Prof. Michalsen, in der Kampagne Es geht ums Ganze sagen Sie, Klimaschutz beginnt auch im eigenen Körper. Was meinen Sie damit genau?

Wenn man die wissenschaftlichen Daten zusammenfügt, dann kann man sagen, dass 60 bis 70 Prozent aller chronischen Erkrankungen maßgeblich durch Ernährung beeinflussbar sind. Auf der anderen Seite ist es genau die Ernährung mit dem größten präventiven Effekt, die auch einen positiven Effekt für den Klimaschutz und andere ökologische Aspekte wie Biodiversität mit sich bringt. Das Charmante ist also: Der eigene Körper und die Erde haben die gleichen gesundheitlichen Bedürfnisse. Darum sprechen wir ja auch von One Health. Sicher gibt es noch viele andere Dinge, die schädlich für unsere Gesundheit und die Erde sind, aber die Ernährung ist schon der Hebel, mit dem wir am meisten bewirken können.

 

Was sollten wir denn essen, um uns und den Planeten gesund zu halten?

Der Verzicht auf tierische Produkte steht hier klar im Vordergrund. Je nach Definition und den Kalkulationsvorgaben der Institute variieren die Zahlen zwischen 14 und 41 Prozent, was man damit in Sachen CO2 und Treibhauseffekt verbessern kann. Der wichtige Punkt ist, dass man sofort damit anfangen kann. Bei der Mobilität haben wir ja noch keine wirkliche Alternative wie E-Flugzeuge. Aber der Fleischverzicht wäre sofort umsetzbar.

 

Reden wir nur über Fleischverzicht oder über den Verzicht auf alle tierischen Produkte?

Für den CO2-Fußabdruck und für die Abnahme der Biodiversität sind Rinder und Kühe und damit eben auch die Milchwirtschaft sehr, sehr maßgeblich. Zum einen wegen des Methanausstoßes, zum anderen wegen der Waldrodungen, die für den Futteranbau nötig sind. Medizinisch ist es so, dass eine kleine Menge Milchprodukte durchaus der Gesundheit zuträglich sind. Aber wirklich nur eine kleine Menge, sagen wir zum Beispiel ein Joghurt jeden zweiten Tag. Nur bitte keine Milch trinken. Fermentierte Milchprodukte sind viel gesünder, weil die zugesetzten Bakterien ungünstige Zucker und weitere potenziell schädliche Substanzen in der Milch abbauen. Sie können aber genauso gut einen fermentierten Joghurt aus Mandelmilch essen oder Kimchi oder Sauerkraut. Man weiß, dass Fermentiertes das Risiko für lebensverkürzende Erkrankungen wie Herzinfarkt senkt.

 

Wäre eine komplett pflanzenbasierte Ernährung nicht auch für den Menschen besser?

Ich empfehle schon eine vegane Ernährung. Von den gesundheitlichen Effekten bin ich weiterhin überzeugt. Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkornprodukte sind einfach gesünder als tierische Produkte. Nur weiß ich aus meiner jahrelangen ärztlichen Arbeit, dass man nicht alle Leute zum Veganismus kriegt und dass es wichtig ist auf eine ausgewogene pflanzliche Ernährung zu achten und die kritischen Nährstoffe, wie vor allem Vitamin VB12 zu ergänzen. Allen, die nicht auf Fleisch, Wurst oder Fisch verzichten möchten, rate ich, doch wenigstens ein paar Portionen davon pro Woche einzusparen. Das ist ein Zugeständnis an die Realität, aber ein erster Schritt in die richtige Richtung.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sieht tierische Produkte nicht so kritisch wie Sie. Sind das auch Zugeständnisse an die Realität oder schlichtweg Meinungsverschiedenheiten unter Wissenschaftlern?

Dass die konservative Fachgesellschaft jetzt tierische Produkte nur noch als Ergänzung zu einer überwiegend pflanzenbasierten Ernährung empfiehlt, ist schon ein Fortschritt. Und sie ist immerhin davon abgerückt, Fleisch direkt zu empfehlen. Aber dass es ein bis zweimal in der Woche Fisch sein soll, da kann ich nur den Kopf schütteln. Da ist überhaupt nicht berücksichtigt, dass die Weltmeere leergefischt und die Fische voller Schwermetalle und Mikroplastik sind. Und auch von der Empfehlung, dass man täglich Milchprodukte essen sollte, würde ich mich distanzieren. Bis heute gibt es Kontroversen in der Wissenschaft, gerade was die Menge des Verzehrs von Milchprodukten anbelangt. Und auch hinsichtlich der Menge des Fleischverzehrs gibt es Streit unter den Wissenschaftlern. Nur dass wir zu viel davon essen, das stellt praktisch niemand mehr in Abrede.

 

Was denken Sie, wenn Sie die meterlangen Kühlregale mit Fleisch, Wurst, Käse und Milchprodukten im Supermarkt sehen?  

Also das geht gar nicht. Das ist einfach nicht mit der Gesundheit unseres Planeten vereinbar. Aber genau das ist es, was die Sache jetzt komplett verändert. Die planetare Gesundheit ist der Gamechanger. An der Tatsache, dass Fleisch ein wahnsinnig klimabelastender Faktor ist, da kommt keiner drum herum. Und die Milchwirtschaft eben auch. Punkt. Pandemien, Dürresommer, Abnahme der Biodiversität – das sind jetzt einfach Themen, die haben die Fürsprecher einer fleischlastigen Ernährung doch sehr leise werden lassen. Wenn ich trotz meines Herzinfarktrisikos Fleisch esse – okay. Aber wenn dabei die Erde in Gefahr ist, hat das ein ganz anderes Gewicht. Es ist nicht nur eine Frage der individuellen Gesundheit, sondern auch der sozialen Verantwortung, wie man sich ernährt.

Professor Andreas Michalsen ist Unterstützer und Erstunterzeichner unserer Aktion Es geht ums Ganze – Manifest für eine gesunde Medizin.

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(c) Foto: Darius Ramazani (www.ramazani.de)

 

Prof. Dr. Andreas Michalsen ist Protagonist unserer Kampagne "Es geht ums Ganze".

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