Die Misteltherapie ist in deutschsprachigen Ländern eines der am häufigsten verschriebenen und genutzten onkologischen Verfahren (1). Zwischen 30% (bei Lungenkrebs) und 77% (bei Brustkrebs) der PatientInnen nutzen die Mistel im Kontext eines integrativen Ansatzes (2-8) und laut Leitlinie der Gesellschaft für Integrative Onkologie (SIO) verbessert die Misteltherapie die Lebensqualität während und nach einer Brustkrebsbehandlung. Da verwunderte es umso mehr, dass ein 2019 veröffentlichtes Review von Freuding et al. zu dem ganz anderen Schluss kam, es gebe hinsichtlich der Lebensqualität sowie dem Überleben keinen Anhaltspunkt aus der Forschung, die Mistel zu verschreiben (9, 10). Doch diese Arbeit scheint gravierende Mängel in sechs Bereichen aufzuweisen, wie Matthes et al. nun in einem ausführlichen Statement aufzeigen (11). 

Matthes et al. kritisieren an dem 2019 erschienenen Review unter anderem, dass es nur randomisiert-kontrollierte Studien einschließt und nicht auch solche unter Praxisbedingungen bzw. an der Lebenswirklichkeit der PatientInnen orientierte Studien. In diesem Sinne sei die Arbeit unvollständig. Darüber hinaus sei es intransparent, nach welchen Kriterien bzw. Strategien die Literaturrecherche erfolgte. So werde beispielsweise ein bestimmtes Mistelpräparat zwar im Review aufgegriffen, sei aber nicht als Suchbegriff in den Such-Algorithmus der Recherche aufgenommen worden.

Das Mittel der Wahl zur Prüfung, ob ein bestimmter Effekt durch eine Therapie vorliegt und wie groß dieser Effekt ist, ist eine Meta-Analyse. Auf die Frage, weshalb Freuding et al. mit ihrem Review keine Meta-Analyse vorlegen (12), entgegneten diese, die Daten aus den betrachteten Studien seien zu heterogen (13). Allerdings, so kritisieren Matthes et al., erläutern sie nicht, was sie unter „heterogen“ verstehen. Sollte damit gemeint sein, dass die einbezogenen Studien hinsichtlich der Therapie und der ProbandInnen zu unterschiedlich sind, um sie zu vergleichen – es wurden Studien mit unterschiedlichen Misteltherapien bei ProbandInnen mit unterschiedlichen Krebserkrankungen eingeschlossen – stellt sich die Frage der Relevanz: Welche Aussagekraft kann dem Review von Freuding et al. dann überhaupt zugeschrieben werden? Vielleicht wäre eine engere Forschungsfrage, z.B. die Beschränkung auf bestimmte Tumorarten oder bestimmte Mistelanwendungen, angemessener gewesen.

Darüber hinaus erscheint die Einschätzung des Verzerrungsrisikos der betrachteten Studien fragwürdig. Matthes et al. kritisieren, dass Freuding et al. zehn Studien ein hohes Verzerrungsrisiko zuschreiben (bei sechs Studien aufgrund der Einschluss- bzw. Zuteilungsart der ProbandInnen und bei vier Studien aufgrund vermeintlich fehlender Outcome-Daten), obwohl diese laut wissenschaftlicher Standards eigentlich ein geringes Risiko aufweisen. Die Aussagekraft besagter Studien sei also fälschlicherweise abgewertet worden. Zudem sei eine Voreingenommenheit zu erkennen: Studien mit positivem Urteil über die Misteltherapie sei tendenziell eher ein hohes Verzerrrungsrisiko zugesprochen worden und Studien mit negativen Ergebnissen zur Misteltherapie tendenziell ein geringes Verzerrungsrisiko – obwohl bei letzteren teilweise tatsächlich die Zuteilungsart der ProbandInnen unklar oder fehlende Outcome-Daten nicht korrekt berücksichtigt seien.

Zu guter Letzt wird Ungenauigkeit bemängelt: Insgesamt seien zwar 14 Studien zum Überleben bei Freuding et al. aufgeführt, aber nur 12 in der entsprechenden Übersichtstabelle gelistet. Von diesen 12 Studien weist eine sowohl ein positives Ergebnis (Mistel bei nicht-metastasiertem Gebärmutterkrebs) als auch ein negatives (Mistel bei einem Großteil der gynäkologischen Krebsarten) auf, sodass insgesamt 13 Outcomes gezählt wurden. Daher sei eine Fehleinschätzung der Proportionen von positiven zu negativen Studienergebnissen in Relation zur Studienanzahl naheliegend. Dazu passt auch der Fehler „kein Beweis eines Effektes“ mit „Beweis eines nicht vorliegenden Effektes“ zu verwechseln: Die Schlussfolgerung, die Misteltherapie leiste keinen Beitrag zum Überleben sei auf der vorhandenen Grundlage nicht folgerichtig.

Fazit
Die Häufung und zum Teil auch die Schwere der vorgeworfenen Fehler überrascht und verstört. Wie sehr die Qualität vermeintlich objektiver wissenschaftlicher Studien schwankt, ist für Patient*innen normalerweise nicht ersichtlich. Wichtig ist deshalb vor allem eines: eine faire, wissenschaftlich hochwertige Debatte und Transparenz in der Kommunikation der Ergebnisse in die Öffentlichkeit!

Quelle
Carstens Stiftung, August 2020 

Weitere Informationen
Wissenswertes zur Misteltherapie und zum Stand der wissenschaftlichen Forschung: www.mistel-therapie.de