1. Dezember 2021 - Bürger*innen haben im Rahmen des ersten Bürgergutachtens Gesundheit ihre Anliegen erarbeitet und zusammengetragen. Besonders wichtig ist den aktuell veröffentlichten Ergebnissen des Bürgergutachtens zufolge, die Stärkung der Prävention, eine allgemeine Patientenzentrierung, die vor die Ökonomisierung tritt und ein Mitspracherecht, das als Stimmrecht für Patient*innen in einem Gemeinsamen Bundesausschuss umgesetzt wird.

"Wir sind sehr stolz, Politik und Öffentlichkeit dieses Bürgergutachten Gesundheit präsentieren zu können," sagt Dr. Stefan Schmidt-Troschke, geschäftsführender Vorstand von GESUNDHEIT AKTIV. "Es zeigt, dass die Menschen auch im Feld der Gesundheitspolitik urteilsfähig und gestaltungswillig sind. Für uns ist dies der Beginn eines demokratischen Aufbruchs im Gesundheitswesen."

Mehr Prävention und Gesundheitsförderung
Die Bürger*innen plädieren den Ergebnissen des Gutachtens zufolge für einen deutlich höheren Stellenwert von Prävention und Gesundheitsförderung im Gesundheitssystem und in allen Lebenswelten und -phasen. Sie machen hierzu zahlreiche Vorschläge, angefangen von der Einführung eines Schulfachs Gesundheit über betriebliche Gesundheitsförderung bis hin zu kommunalen Angebotsstrukturen und Formaten für Rentner*innen.

Mehr individuelle Behandlung, bessere Arzt-Patien*innengespräche
In der ambulanten wie in der stationären Versorgung steht für die Bürgergutachter*innen eine patientenzentrierte, bedürfnisgerechte und individuelle Behandlung im Mittelpunkt. Sowohl das Lebensumfeld als auch die Lebensumstände von Patient*innen sollen aktiv in die Behandlung einbezogen werden. Dies setzt eine Aufwertung des Arzt-Patient*innengesprächs ebenso voraus wie eine Bandbreite verschiedener Therapieoptionen, wie zum Beispiel die Inklusion von ergänzenden natürlichen Heilverfahren.

Mehr Ärzt*innen, mehr Gerechtigkeit
Strukturell liegt der Fokus für Veränderungen im Gesundheitssystem auf einer besseren Vernetzung der Mediziner*innen, einer guten Erreichbarkeit und einer ausreichenden (Haus-)Ärzt*innendichte auch auf dem Land mit insgesamt kürzeren Wartezeiten. Der Abbau regionaler und sozialräumlicher Unterschiede ist aus Sicht der Bürger*innen auch eine Frage der Gerechtigkeit ebenso wie eine bezahlbare, gemeinsame gesetzliche Krankenversicherung für alle (Bürgerversicherung), in der eine hohe Qualität der Versorgung für alle gleichermaßen sichergestellt ist.

Bessere Bezahlung, weniger Gewinnorientierung
Das Gesundheitssystem soll den Ergebnissen des Gutachtens zufolg vom Menschen aus gedacht werden. Das gilt sowohl für Patient*innen als auch für die Menschen in Gesundheitsberufen. Eine bessere Bezahlung, bessere und familienfreundliche Arbeitsbedingungen weisen aus Sicht der Bürger*innen den Weg aus der aktuellen Krise. Außerdem sollten der finanzielle Druck und die Gewinnorientierung im Gesundheitssystem abgebaut werden. Erforderlich dafür sei eine größere Transparenz der Versorgungsstrukturen und eine unabhängigere Finanzierung.

Individuelle Medizin statt Behandlungen von der Stange
Ein Schwerpunkt der Beratungen lag im Feld der Integrativen Medizin, deren verschiedene Therapieverfahren immer wieder auch öffentlich diskutiert werden. In ihrem Wunsch nach möglichst individuellen, ganzheitlichen Therapiekonzepten beziehen die Bürger*innen Angebote der Integrativen Medizin, also das sinnvolle Miteinander konventioneller und naturmedizinischer Behandlungsverfahren, selbstverständlich ein. Dabei legen sie Wert auf vielfältige und fundierte Informationsquellen und plädieren für eine Verbesserung der Studienlage von integrativmedizinischen Behandlungen, die schnell für die Praxis nutzbar gemacht werden sollten.

Andere Finanzierung von Studien
Vor dem Hintergrund, dass der Großteil der Studien von der Pharmaindustrie beauftragt und finanziert wird, empfehlen die Bürger*innen eine andere Art der Finanzierung. In Zukunft sollten verschiedene Gruppen Studien in Auftrag geben. Zudem sollte die staatliche Förderung erhöht werden. Auch bei der Erarbeitung von Leitlinien sollte aus Sicht der Bürger*innen ein breiteres Spektrum von Expert*innen, aber auch Patient*innen einbezogen werden.

Wirksamkeitsprüfung erhalten, individuelles Budget einführen
Die Wirksamkeitsprüfung als eine zentrale Grundlage für eine Kostenübernahme komplementärer Verfahren durch die gesetzlichen Krankenkassen sollte erhalten und um ein individuelles Budget für zusätzliche Leistungen ergänzt werden. Über dieses Budget sollen Patient*innen in Absprache mit ihren Ärzt*innen frei verfügen können.

Beteiligung auf allen Ebenen
Bürger*innen und Patient*innen möchten künftig auf allen Ebenen an der Gesundheitsversorgung beteiligt werden: angefangen vom ausführlichen Arzt-Patient*innengespräch über die Einbeziehung von Patient*innen in die Erarbeitung von Leitlinien bis hin zu einem Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Voraussetzung für Mitbestimmung und Beteiligung sind differenzierte Informationen und eine strukturelle Verankerung. Bürger*innen fordern deshalb, die allgemeine Gesundheitskompetenz für eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu stärken, Qualifizierungsangebote flächendeckend auszubauen sowie den Gemeinsamen Bundesausschuss zu reformieren.

Bürger*innen wollen gehört werden
Die vielfältigen Vorschläge gilt es nun, in politische Initiativen zu übersetzen und umzusetzen. "Wir als Teilnehmer*innen wünschen uns, dass das Bürgergutachten Raum findet und verantwortlich damit umgegangen wird," sagt Maria Jagesberger, Bürgergutachterin aus Bremen. Dr. Dorothee Schimpf, Geschäftsführerin von NATUR UND MEDIZIN ergänzt: "Die Politikerinnen und Politiker sollten die Stimmen der Bürger*innen hören und ernst nehmen. Das wäre ein wichtiges Signal für die dringend benötigte Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und die politische Kultur in Deutschland."

Im Auftrag der Bürger- und Patientenverbände GESUNDHEIT AKTIV e.V. und NATUR UND MEDIZIN e.V. hat das nexus Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung in der Zeit vom 13. bis 25. September 2021 parallel an vier Standorten in 11 Arbeitseinheiten mit zufällig ausgewählten Bürger*innen zu unterschiedlichen Aspekten der Gesundheitssystemgestaltung zusammengestellt. Die Arbeit in den so entstandenen Planungszellen wurde von verschiedenen Expertenvorträgen begleitet.

Die Ergebnisse der Planungszellen wurden im Bürgergutachten Gesundheit zusammengeführt. Sie lagen den Verhandler*innen während der Koalitionsgespräche vor. Eine offizielle Übergabe an Vertreter*innen der neuen Bundesregierung sowie verschiedene Dialogveranstaltungen sind in Planung. Der offizielle Bericht zum Bürgergutachten Gesundheit kann hier heruntergeladen werden.