30. November 2022Im ersten Bürgergutachten Gesundheit wurden Empfehlungen für eine Aufwertung und bessere Ausstattung der Pflege formuliert. Wir haben mit erfahrenen Pflegekräften aus zwei anthroposophischen Kliniken gesprochen, die uns erklärt haben, was die Pflege konkret braucht, um ihre hoch anspruchsvolle Aufgabe ausfüllen zu können.

Das Gesundheitssystem muss vom Menschen her gedacht werden! So einfach lassen sich die Ergebnisse des ersten Bürgergutachtens Gesundheit zusammenfassen. Das Bürgergutachten Gesundheit wurde im vergangenen Jahr von GESUNDHEIT AKTIV und NATUR & MEDZIN in Auftrag gegeben. Dafür haben rund 100 zufällig ausgewählte Menschen an verschiedenen Standorten in Deutschland an der Frage gearbeitet, wie das Gesundheitswesen der Zukunft aussehen soll: Es wurden Fragen gestellt und Antworten gefunden, es gab viele gute Ideen und Vorschläge für ein Gesundheitswesen, das den Menschen dient und sie gesund erhält. Abschließend wurden die Ergebnisse zusammengefasst und als Empfehlungen an die Politik formuliert.

Wie geht Pflege in Zukunft?

Von den Bürgerinnen und Bürgern wurden verschiedene Schwerpunkte für ein zukunftsorientiertes Gesundheitswesen definiert. Einer dieser Schwerpunkte war es, die Pflege aufzuwerten und besser auszustatten. Gemeint ist damit: Bessere Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen sowie mehr Familienfreundlichkeit für diese extrem anspruchsvolle Arbeit. Diese Empfehlungen haben wir zum Anlass genommen, mit Vertreterinnen der Pflege ins Gespräch zu kommen, um zu erfahren, was es konkret braucht, um eine individuelle und ganzheitliche Pflege zu ermöglichen. 

"Das Wichtigste in der Pflege ist Zeit für die menschliche Begegnung sowie Mut und Offenheit, sich auf das Gegenüber einzulassen", sagt Carola Riehm, Pflegedienstleitung in der anthroposophischen Filderklinik. "Es ist wichtig, eine innere Haltung zur Pflegeaufgabe zu entwickeln. Dabei können die 12 pflegerischen Gesten helfen, die im Rahmen der Anthroposophischen Pflege entwickelt wurden. Die Zeit wird dann ein wichtiger, aber trotzdem relativer Faktor. Denn auch in nur einem Moment der Begegnung wird die Haltung erkennbar und es kann eine Beziehung und Wahrnehmung entstehen." Auch Martina Degener, Pflegedirektorin im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, sagt: "Genügend Zeit zu haben, ist die Voraussetzung dafür, pflegebedürftige Menschen individuell wahrnehmen zu können."

Pflege mit Kompetenz, Erfahrung & Expertise

Expertise und Erfahrung gehören natürlich ebenso dazu, um pflegedürftigen Menschen und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden und zu ihrer Genesung beizutragen. "Die meisten wissen gar nicht, wie groß der Anteil der Pflege an der medizinischen Versorgung der Menschen zum Beispiel im Krankenhaus ist. Die Pflege leistet eine hoch qualifizierte Arbeit, hat ein großes Aufgabenfeld, ist nah am Patienten und an der Patientin, kann vieles eigenständig entscheiden - aber das ist leider den wenigsten bewusst", kritisiert Martina Degener. "Wenn das alles bekannter wäre, würde die Pflege in unserer Gesellschaft auch mehr Anerkennung finden. Solange aber nur von Pflegenotstand und sonstigen Problemen in der Pflege die Rede ist, dürfen wir uns nicht wundern, dass der Pflegeberuf zunehmend an Attraktivität verliert. Es wird Zeit, dass auch wir Pflegenden selbstbewusst darauf aufmerksam machen, was für ein toller Beruf das ist und wie viel Möglichkeiten Pflegende heute in der Aus- und Weiterbildung haben." Auch Carola Riehm ist sich sicher: "Die Pflege kann viel mehr, als es bisher gesehen, genutzt und bezahlt wird".

Abschied von alten Hierarchien

Die Zeichen stehen auf Wandel: Der Weg geht weg von alten Hierarchien zum gemeinsamen Arbeiten auf Augenhöhe im Sinne eines therapeutischen Teams, also Ärztin/Arzt - Pflege - Therapeutin/Therapeut, mit dem Ziel der bestmöglichen Behandlung für die Patienten und Patientinnen. Diesen Lernprozess gilt es gemeinsam zu gestalten. Das Arbeiten auf Augenhöhe bedeutet auch, dass alle dazu beitragen, "ein gemeinsames Verständnis von Krankheit und den therapeutischen Zielen zu entwickeln. Das kann sehr erfüllend sein", meint Carola Riehm.

Dass es zu dieser Art Teamarbeit kommt, setzt natürlich voraus, dass es gelingt, wieder mehr Menschen für die professionelle Pflege zu begeistern - oder Pflegekräfte, die ihre Arbeit reduziert oder sogar ganz aufgehört haben, wieder zurückzuholen. Ideen dafür liegen auf dem Tisch. Die Erfahrung zeigt, dass es immer wieder eine Herausforderung für ein Team ist, gemeinsam die Arbeitszeiten und damit auch die Aufgabestellungen anzupassen, um den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerecht zu werden. Im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke zum Beispiel gibt einen "Pflegepool", der es den Mitarbeiter:innen ermöglicht, ihre Dienstpläne eigenständig zu gestalten.

Menschen für Pflege begeistern

Das ist in einem Beruf, der nach wie vor stark weiblich geprägt ist, nicht zu unterschätzen, da die Rahmenbedingungen damit viel familienfreundlicher werden. In Herdecke stehen diese Pläne bereits mit viel Vorlauf, so dass die Schichten und Arbeitszeiten verbindlich sind und für die Pflegenden eine echte Planungssicherheit mit sich bringen.

Auch Carola Riehm aus der Filderklinik ist sich sicher, dass mehr Gestaltungsspielraum in der Pflege für viele (Ex-)Pflegende sehr attraktiv ist: "Die Pflege braucht Eigenverantwortung bei der Übernahme von pflegerischen Entscheidungen und Therapien, zum Beispiel in der Wundversorgung oder der Dekubitus-Behandlung. In der medizinischen Versorgung muss die ärztliche und die pflegerische Versorgung als gleichbedeutend gewertet werden. Denn es geht nur gemeinsam - nur zusammen machen die ärztliche und pflegerische Versorgung eine gute Medizin aus."

"Pflege kann so viel - das müssen wir viel mehr zeigen. Wir müssen Menschen, die professionell pflegen wollen, mehr Perspektive geben, damit sie sehen, was professionelle Pflege alles kann", betont Martina Degener abschließend. 

Den Podcast zu den Ergebnissen des ersten Bürgergutachtens Gesundheit findest du hier

DOCH LIEBER ÜBERWEISEN?
Dann nutzen Sie unser
Spendenkonto Kampagne
GESUNDHEIT AKTIV e.V.
GLS Gemeinschaftsbank eG
IBAN: DE50 4306 0967 0017 2179 03
Verwendungszweck: weil´s hilft!