12. Mai 2021 - "Das Maß ist voll, die Grenze der Belastung ist längst überschritten. Schon viel zu lange arbeiten wir Pfleger*innen unter unhaltbaren Bedingungen. Zu wenig Personal für zu viele Patient*innen, großer Zeitdruck und die zu schlechte Bezahlung zermürben uns. Die hohe psychische und physische Belastung lässt viele von uns aussteigen."

Mit diesen klaren Worten startet die Kampagne Pflegerebellion, die aus der Zusammenarbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen (BAG) und der Berlin School of Design and Communication entstanden ist. Sie soll ein Weckruf sein und die seit Jahren bestehenden Missstände in der Pflege deutlich machen.

Notstände nicht erst seit Corona

Die Corona-Pandemie mit ihren besonderen Herausforderungen ist dabei nicht der eigentliche Auslöser dieser Misere, sondern wirkt eher wie ein Katalysator, der die Schieflage verdeutlicht. In der Corona-Krise wird schneller und offensichtlicher klar, unter welchen schlechten Bedingungen die Mehrzahl der Pflegenden seit Jahren arbeitet. Die Belastungen sind so hoch, dass viele hinwerfen.

Das beweisen auch die Zahlen der Pflegenden, die in den letzten Monaten dramatisch gesunken sind. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete unter Berufung auf die Agentur für Arbeit darüber. Zwischen Anfang April und Ende Juli 2020 gaben demnach mehr als 9.000 Pfleger*innen ihren Job auf. Dies entspreche einem Rückgang um 0,5 Prozent. Insgesamt waren demnach in Deutschland zuletzt rund 1,8 Millionen Menschen in der Pflege tätig. Vor der Pandemie seien die Be­schäf­tigtenzahlen in der Pflegebranche dagegen leicht gestiegen.

Nina Böhmer ist sauer

"In einem Beruf der jahrelang unterbezahlt ist...wo alle am Limit arbeiten...wir sollen jetzt die Helden sein und werden so behandelt?
Eigentlich sollten genau jetzt alle Pflegekräfte ihren Job kündigen!", schreibt am 23. März 2020 die Gesundheits- und Krankenpflegerin Nina Böhmer auf Facebook. Sie scheint damit vielen aus der Seele zu reden, denn die Resonanz auf den wütenden Post ist groß.

Er wird bei Facebook mehr als 70.000 Mal geteilt und über 200 Mal kommentiert. Die meisten Kommentatoren (das muss Lena prüfen) stimmen mit dem Geschriebenen von Böhmer überein. Die Medien werden schnell auf die heute 29-Jährige aufmerksam. Nina Böhmer kommt nun in zahlreichen Interviews zu Wort, wird in Talkshows eingeladen und schreibt sogar ein Buch mit dem Titel: Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken. Doch auf dem Weg zu echten Veränderungen für Pfleger*innen  und Patient*innen kann das nur ein Anfang sein.

Wir brauchen Euch und Ihr braucht uns

Nina Böhmer ist ganz offiziell eine Unterstützerin der Kampagne *pflegerebellion.de. Sie ruft in einer Petition auf change.org alle Bürger*innen dazu auf, aktiv zu werden, denn: "Alle Menschen sind irgendwann in ihrem Leben auf Pflege angewiesen. Wir brauchen Euch und Ihr braucht uns."

Ganz konkret geht es um die Unterzeichnung der Petition, die finanzielle Unterstützung der Kampagne und der Teilnahme am sogenannten Sleep In am 12. Mai 2021. An diesem Tag, dem Internationalen Tag der Pflege, sollen sich die Menschen um 11:30 Uhr vor dem Reichstag in Berlin und dezentral in weiteren Orten Deutschlands "schlafend" auf den Boden legen. Das soll den Zustand des Gesundheitspersonals symbolisieren, das keine Zeit zum Ausruhen hat.

Ziel der Kampagne

Mit der Kampagne wollen Pfleger*innen eine gesellschaftliche Diskussion anregen und endlich ein grundsätzliches Umdenken in der Pflegepolitik bewirken. Sie fordern deshalb eine Gesundheitspolitik, die sich am Gemeinwohl und nicht an Börsengewinnen orientiert. Das Gesundheitssystem, die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung müssen sich jetzt ändern! Denn bereits im vergangenen Jahr fehlten 112.000 Pflegekräfte im Pflegesektor. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln könnte sich diese Situation noch verschärfen. Rechnungen zufolge steigt die Zahl der fehlenden Pfleger*innen in der stationären Versorgung auf 307.000 bis zum Jahr 2035. Die Versorgungslücke im Pflegebereich insgesamt könnte sich bis zu diesem Jahr auf insgesamt knapp 500.000 Fachkräfte vergrößern.

Nachvollziehbar, dass ein weiteres Motto #wannwennnichtjetzt heißt und dass die Kampagne mit zwei weiteren Aktionen im August und Oktober verbunden ist. Dass das zweite Jahr der Corona-Pandemie auch das Jahr der Bundestagswahlen ist, könnte in Bezug auf die Notstände in der Pflege eine echte Chance sein, wenn die regierungsverantwortlichen Parteien die Forderung der Kampagne: "Wir fordern eine Gesundheitspolitik, die sich am Gemeinwohl und nicht an Börsengewinnen orientiert", beherzigen.