12. Januar 2022 - Die Wartezeiten für eine ambulante Psychotherapie werden immer länger. Menschen, die psychisch erkranken oder sich in einer Krisensituation befinden, bleiben oftmals sich selbst überlassen. Terminservicestellen, die ein Erstgespräch vermitteln, sind dabei nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Kassenpatient*innen warten durchschnittlich zwischen drei und neun Monaten auf den Beginn ihrer Psychotherapie. Durch die Corona-Krise spitzt sich die Situation für Patient*innen sogar noch einmal zu. 40 Prozent der Hilfesuchenden muss nun länger als sechs Monate auf eine ambulante Psychotherapie warten. Wie kommt diese Versorgungslücke zustande?  

Mangel an Therapieplätzen

Eine steigende Nachfrage und die geringe Zahl an Psychotherapeut*innen, die eine Kassenzulassung haben, führen zu einem großen Mangel an Therapieplätzen. So entstehen lange Wartezeiten für Menschen, die eine ambulante Psychotherapie benötigen. Der Therapeut*innenmangel ist eine gesundheitspolitische Entscheidung, die zulasten der Patient*innen geht: Die Anzahl an Kassenzulassungen für Psychotherapeut*innen wurde 1999 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt. Die Bedarfsplanung ist dabei nicht an der Häufigkeit psychischer Erkrankungen, sondern an der Gesamtanzahl psychotherapeutischer Praxen in Deutschland ausgerichtet.

Die Versorgungslücke in der ambulanten Psychotherapie trifft auf eine deutliche Zunahme an Krankschreibungen aufgrund psychischer Leiden: Bereits 2011 waren 50 Prozent mehr Menschen wegen psychischer Erkrankungen krankgeschrieben als im Jahr 2000.
Finden Patient*innen keine Therapeuten mit Kassenzulassung, können sie die Kostenerstattung einer privaten Behandlung bei ihrer Krankenkasse beantragen. Der bürokratische Aufwand ist allerdings sehr hoch und einige Krankenkassen schließen die Übernahme der Kosten im Vorfeld aus.

Versorgungsengpass in der Corona-Krise

Während im Jahre 2019 bereits 40 Prozent der Patient*innen zwischen drei und neun Monaten auf den Beginn einer Psychotherapie warten mussten, hat sich die Versorgungslücke in der Corona-Krise nochmals vergrößert. Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer fordert daher eine neue Bedarfsplanung, damit psychisch Erkrankte innerhalb von einem Monat Hilfe bekommen: "Die Corona-Krise verschärft den Mangel an Behandlungsplätzen. Es rächt sich jetzt, dass die Krankenkassen seit Jahren die Zulassung einer ausreichenden Anzahl von psychotherapeutischen Praxen blockieren." Die Nachfrage nach Therapieplätzen hat im Januar 2021 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. Die Corona-Krise verschärft psychische Belastungen in der Bevölkerung erheblich. Insbesondere die Zahlen von depressiven Erkrankungen und Angststörungen sind gestiegen.  Zur besseren Versorgung der akut Belasteten schlägt die Bundespsychotherapeutenkammer Corona-Soforthilfen für Patient*innen vor. Krankenkassen sollen kurzfristig und unbürokratisch die Behandlungskosten für Psychotherapien bei Therapeut*innen ohne Kassenzulassung übernehmen.

Der Mangel an verfügbaren Therapieplätzen für Kassenpatient*innen gefährdet schlimmstenfalls Menschenleben. Seit Jahren werden vorübergehende Lösungen geschaffen wie die Vermittlung von Erstgesprächen durch Terminservicestellen, Selbsthilfe-Apps zur Überbrückung der Wartezeit und die Einrichtung von psychotherapeutischen Ambulanzen. Langfristig helfen diese Maßnahmen den Betroffenen nicht. Die Versorgungslücke mit ambulanter Psychotherapie ist ein gesundheitspolitisches Versagen. Ob die Ampel-Koalition mit dem Reformvorhaben der psychotherapeutischen Bedarfsplanung diese Missstände in der Versorgung beheben kann, ist ungewiss. Im Koalitionsvertrag werden eine neue bedarfsgerechte Versorgung, hauptsächlich im ländlichen Raum und in strukturschwachen Regionen wie Brandenburg aufgeführt. Wartezeiten sollen insgesamt verkürzt und die Versorgung von Patient*innen mit komplexen Erkrankungen verbessert werden.