Neues Rechtsgutachten schlägt Weichenstellungen vor

02. Juli 2021 - Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums hat der Medizin- und Verwaltungsrechtler Christof Stock im April 2021 ein 300 Seiten starkes Gutachten vorgelegt, das wesentliche Fragen zum Berufsstand des Heilpraktikers beantworten soll. Die aktuelle Gesetzeslage wurde von verschiedenen Seiten aus als reformbedürftig angesehen. Gegenstand der diesbezüglichen Auseinandersetzungen sind beispielsweise die Fragen nach einem möglichen Berufsverbot, dem zulässigen Tätigkeitsbereich oder der Ausbildungsordnung. Die Ausführungen Stocks sind teilweise stark interpretationsbedürftig, sodass einige Heilpraktikerverbände juristische Expertise in Anspruch genommen haben. 

Abschaffung der Heilpraktiker*innen 

Zunächst zu den eindeutigen Sachverhalten: Der Gutachter stellt klar, dass eine Abschaffung des Heilpraktikerberufs nicht verfassungskonform möglich sei. Es handele sich um ein vom Gesetzgeber selbst geschaffenes Berufsbild. Konkrete Gefahren ginge von dessen Vertretern nicht aus, weder tatsächlich nachgewiesen, noch auch nur höchst wahrscheinlich. Patienten, die die Leistungen von Heilpraktikern in Anspruch nehmen, würden durch eine Abschaffung grundlos in ihrer Autonomie eingeschränkt. Wegen des verfassungsmäßig verbürgten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei es dem Staat auch nicht erlaubt, seinen Bürgern die Inanspruchnahme von Therapieverfahren zu verbieten, für die kein wissenschaftlicher Nachweis eines Nutzens vorliege, solange sie ungefährlich seien und der Patient adäquat aufgeklärt würde.

Integrative Medizin statt „Alternativheilkunde“

Der Gutachter postuliert verschiedene Formen der Heilkunde, nämlich die ärztliche und die Alternativheilkunde. Erstere decke sich inhaltlich mit der Schulmedizin und erforderte zu ihrer Ausübung eine ärztliche Approbation. Letztere hingegen umfasse alle Therapieverfahren, die nicht Teil der Schulmedizin seien und für die kein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis geführt werden könne. Stocks Vorschlag sieht nun vor, dass das Tätigkeitsgebiet von Heilpraktikern auf die Alternativheilkunde beschränkt wird.

Hierzu ist zunächst zu sagen, dass naturmedizinische Verfahren zwar zum Teil alternativ zu schulmedizinischen angewendet werden. Das Selbstverständnis der meisten Heilpraktiker*innen und auch Ärzt*innen, die solche Behandlungen anbieten, lässt sich aber unter dem Begriff der Integrativen Medizin zusammenfassen. Auch Patient*innen wünschen in der Regel kein Entweder-oder, sondern ein sinnvolles Miteinander verschiedener medizinischer Ansätze.

Eine Frage der Forschung

Weiterhin problematisch an der vorgeschlagenen Definition und der aus ihr resultierenden Aufgabenzuweisung ist die Bestimmung, nach der Heilpraktiker*innen ausschließlich mit Methoden arbeiten sollten, für die keine Belege aus klinischen Studien vorgelegt werden könnten. Diese Bestimmung verkennt die Versorgungsrealität sowie die Forschungslage zur Naturmedizin. So wenden beispielsweise viele Heilpraktiker*innen und auch Ärzt*innen die Akupunktur an. Für diese liegt eine Fülle an Wirksamkeitsbelegen in Bezug auf unterschiedliche Indikationen vor. Will nun der Rechtswissenschaftler, dass in Zukunft nur noch Ärzt*innen akupunktieren dürfen, oder will er behaupten, die vorhandenen Nachweise existierten nicht, sodass weiterhin auch Heilpraktiker*innen diese Therapieform anbieten können? Gemäß Stocks Definition von Alternativheilkunde müsste nämlich jedes naturmedizinische Verfahren, für das wissenschaftliche Belege erbracht werden, ins Gebiet der ärztlichen Heilkunde "aufsteigen". Diese Behandlungsmethoden dürften dann nur noch von Ärzt*innen praktiziert werden.

Umgekehrt wenden Heilpraktiker*innen tatsächlich eine Menge schulmedizinscher Methoden an, für deren Effektivität völlig unstrittig Belege aus klinischen Studien vorliegen. Dazu gehören konventionelle Laboruntersuchungen. Für eine effiziente Behandlung sind Therapeut*innen und Patient*innen auch auf Befunde aus diesen Untersuchungen angewiesen. Wenn die Erhebung von Laborwerten künftig unter ärztlichem Vorbehalt stünde, würde Heilpraktikerinnen ohne jede Not ein wichtiges Mittel zur Ausübung ihres Berufs entzogen.

Die gesamte Einteilung Stocks erscheint in ihrer Voraussetzung ideologisch aufgeladen, insofern das definitorische Merkmal der Alternativheilkunde ihre Unwissenschaftlichkeit sein soll. Diese Einordnung verkennt einerseits die Forschungsfakten und ist zweitens in ihrer Konsequenz völlig unpraktikabel, was die aus ihr resultierenden Tätigkeitszuweisungen für Ärzt*innen und Heilpraktiker*innen angeht. 

Eine Frage der Ausbildung

Der Gutachter fordert in seinen Ausführungen die Einführung einer staatlich regulierten Ausbildung und Prüfung für Heilpraktiker. Gegenstand der Ausbildung sollen auch naturmedizinische Verfahren sein. Bislang existiert zwar eine staatliche Prüfung für Heilpraktikeranwärter beim Gesundheitsamt. Naturmedizinische Therapien gehören aber nicht unbedingt zum abgefragten Stoff. Vielmehr wird in der Regel hauptsächlich schulmedizinisches und gesundheitsrechtliches Grundlagenwissen gefordert. So könnte etwa eine Prüfungsaufgabe darin bestehen, die diagnostischen Kriterien anzuführen, die eine Bronchitis von einer Tuberkulose unterscheiden. Weiterhin sollte der Prüfling wissen, dass der Tuberkulosefall an einen Arzt überwiesen werden muss.

Eine zusätzliche standardisierte, qualitätsgesicherte Ausbildung in naturmedizinischen Methoden für Heilpraktiker*innen ist aus Patient*innensicht sicher zu begrüßen. Eine derartige Lösung wird beispielsweise mit großem Erfolg in der Schweiz praktiziert, wo an staatlichen Fachhochschulen anspruchsvolle Abschlüsse in unterschiedlichen Disziplinen erworben werden können. Die Ausbildung dort endet mit dem Erwerb der Zulassung als Diplom-Naturheilpraktiker für Ayurveda-Medizin, Homöopathie, traditionelle chinesische Medizin oder traditionelle europäische Naturheilkunde. Wie genau Ausbildungsinhalte und -strukturen auszugestalten seien, führt Stock in seinem Gutachten nicht näher aus. Wichtig wäre hierbei, dass kompetente Fachvertreter, die Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet der Naturmedizin sind, die Curricula festlegen.

Fazit                       

Insgesamt enthält das Gutachten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums einige zutreffende Feststellungen und Vorschläge zur Neuordnung des Heilpraktikerberufs. Andererseits operiert es mit höchst problematischen Definitionen von Teilgebieten der Medizin, aus denen sich Folgen ergeben, die an den Bedürfnissen der Patient*innen vorbeigehen. Außerdem würde durch sie die Tätigkeit von Heilpraktiker*innen in geradezu paradoxer Weise beschnitten. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber sich an den sinnvollen Ideen Christof Stocks orientiert. Bezüglich der problematischen aber, ist es dringend erforderlich, weitere Expertise einzuholen, um tragfähige Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Dies ist ohnehin angezeigt, da der Gutachter zu wesentlichen Fragen zwar allgemeine Hinweise gibt, eine konkrete Ausgestaltung der Details aber schuldig bleibt. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache hat Stock seinem Werk einen Katalog von Forschungsfragen beigegeben, die er für die weitere Bearbeitung des Themas beantwortet sehen möchte.