20. Mai 2021 - Der Zugang zu einer psychotherapeutischen Behandlung ist bereits heute eingeschränkt, da Patient*innen lange Wartezeiten überbrücken müssen. Die Einteilung von Patient*innen in Risikoklassen sieht nun weitere Kürzungen der psychotherapeutischen Behandlung vor: Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung, über den am 19.05.2021 im Gesundheitsausschuss des Bundestags beraten wurde, enthält weitreichende Beschränkungen der Versorgung psychisch kranker Menschen. Was bedeutet die Psychotherapie nach Raster für die Betroffenen? 

Risikoklassen regeln Zugang zur Psychotherapie

Psychische Erkrankungen sollen nach dem Gesetzesentwurf in sogenannte Risikoklassen eingeteilt werden. Diese Einteilung bedeutet für Patient*innen, dass ihnen eine festgeschriebene Anzahl an Therapiestunden nach Raster aufgrund einer Diagnose zugeteilt wird. Die individuelle Situation der psychisch Erkrankten, unter die auch soziale, emotionale, körperliche oder sozioökonomische Bedingungen fallen, werden nicht mehr berücksichtigt. Die bislang geltende Praxis der Therapieverträge zwischen Psychotherapeut*in und Patient*in, in denen auf der Grundlage individueller Faktoren der Bedarf an Therapiedauer festgelegt wurde, wird durch dieses Gesetz abgeschafft. Stattdessen findet eine Behandlung nach Raster statt, die keineswegs der individuellen Situation von Patient*innen gerecht werden kann. Langwierige psychische Erkrankungen fallen aus den Risikoklassen heraus. Die Rationierung der Psychotherapie ist insbesondere für diese Gruppe bedenklich.

Therapiebegrenzung durch Gesetzesentwurf

Der Gesetzesentwurf wird von der Bundespsychotherapeutenkammer und Verbänden stark kritisiert, denn es stehe nicht mehr die individuelle Versorgung psychisch Erkrankter im Vordergrund. Stattdessen wird die Versorgung mit Psychotherapie an Rastern orientiert. In diesen Rastern ist nach Diagnose festgelegt, wie lange ein*e Patient*in Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung hat. Dieser Gesetzesentwurf berücksichtigt dabei erstens die Komplexität von psychischen Erkrankungen nicht. Zweitens ist die Einteilung in Risikoklassen ein Eingriff in die Therapiehoheit der Psychotherapeut*innen. 

Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer Dietrich Munz findet deutliche Worte für die Psychotherapie nach Raster: „Gesundheitspolitik gegen psychisch kranke Menschen in letzter Minute in ein Gesetz einzufügen, das bereits im Bundestag und Gesundheitsausschuss beraten wurde, zeugt außerdem von einem zweifelhaften Verständnis demokratischer Prozesse.“ 

Die Psychotherapie nach Raster ist ein einschneidender Eingriff in die Therapiehoheit durch gesundheitspolitische Gesetzesvorlagen. Dieses Gesetzt schlägt eindeutig zum Nachteil der Patient*innen aus. Den Bedarf der psychotherapeutischen Behandlung an Risikoklassen auszurichten, zeigt einmal mehr, dass die gegenwärtige Gesundheitspolitik stärker auf ökonomische Zielsetzungen ausgerichtet ist als auf das Wohl der Patient*innen. 

Die SPD-Fraktion stimmte gegen den erst kurz vor den Beratungen eingereichten Antrag zur Einteilung psychisch kranker Menschen in Raster. Der Eingriff in die Therapiefreiheit sei unzulässig, daher sprechen sich die Mitglieder der SPD gegen den Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn aus.

 

Weil’s hilft! sieht diesen Antrag ebenfalls mit großer Sorge. Besonders zu einem Zeitpunkt, an dem die Nachfrage nach psychotherapeutischen Behandlungen aufgrund der seelischen Belastungen in der Pandemie, wächst.