Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg hat in ihrem Mitteilungsblatt „Versorgungsforum“ (Ausgabe Mai 2019) eine bislang in ganz Deutschland gängige Praxis in Frage gestellt: Derzufolge dürfen bestimmte rezeptfreie anthroposophische und homöopathische Medikamente auf Kassenrezept verordnet werden, wenn eine Ausnahmeindikation vorliegt – z. B. eine schwerwiegende oder chronische Krankheit, keine besseren Behandlungsmöglichkeiten durch die Schulmedizin – und sie dem Therapiestandard entsprechen (d. h. wenn die Medikamente von der zuständigen Fachgesellschaft als Standard bezeichnet und anerkannt wurden). Konkret heißt es in der Arzneimittel-Richtlinie: „Für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete kann der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist.“ (§ 12, Absatz 6, Satz 1 AM-RL). Eine solche Liste für den Therapiestandard hat die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) für die anthroposophischen Arzneimittel erstellt. Sie wurde bisher allseits akzeptiert.

Diese Verordnungsmöglichkeit will die KV Baden-Württemberg jetzt stoppen. Sie bestreitet die Erklärung der GAÄD zum Therapiestandard innerhalb der Anthroposophischen Medizin und meint, die Evidenz müsse durch die Regeln der Schulmedizin bewiesen sein. Das ist ein drastischer Bruch mit dem Grundkonsens, der mit dem Arzneimittelgesetz und der Anerkennung der ‚Besonderen Therapierichtungen‘ im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) beschrieben worden ist. Darin heißt es: „Das Gebot, der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen, bedeutet insbesondere, dass die Eigenheiten besonderer Therapierichtungen – soweit dies im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften möglich ist – zu berücksichtigen sind. Bei der Bewertung der Qualität und Wirksamkeit von Behandlungsmethoden und Medikationen ist deshalb der Erkenntnisstand der jeweiligen Therapierichtung, also die aus Sicht der Therapierichtung gegebene besondere Wirksamkeit zugrunde zu legen (Maßstab der sog. Binnenanerkennung).“

Diese im Sozialgesetzbuch festgeschriebene Binnenanerkennung hat selbstverständlich in Deutschland weiterhin Bestand – was auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als höchstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung in einer Stellungnahme betont. Eine willkürliche Veränderung der geltenden Rechtsauffassung durch eine Kassenärztliche Vereinigung eines Bundeslandes ist daher nicht hinnehmbar und wird juristisch angefochten werden.

Auch der Bürger- und Patientenverband GESUNDHEIT AKTIV wird seine Mitglieder in Baden-Württemberg darin unterstützen, sich gegen diesen Versuch, die Naturmedizin quasi durch die Hintertür aus dem Versorgungssystem zu verbannen, zu wehren.  „Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, wie notwendig unsere Kampagne weil’s hilft! ist!“ kommentiert Stefan Schmidt-Troschke, Geschäftsführender Vorstand von GESUNDHEIT AKTIV. Denn mit dieser Maßnahme geht die KV wieder einmal den Schwächsten ans Leder, den chronisch Kranken, die nicht mehr so gut kämpfen können, die über viele Jahre hinweg betroffen sind und es sich meist nicht leisten können, solche Medikamente aus eigener Tasche zu bezahlen. In welchem Land leben wir eigentlich? Es wird Zeit, dass die Erstattung naturmedizinischer Arzneimittel und Verfahren endlich gesetzlich festgeschrieben wird und Patienten sicher sein können, dass eine geltende Praxis nicht plötzlich geändert wird.“  

Quelle:
„Verordnungsforum“ der KV Baden-Württemberg, Ausgabe Mai 2019

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