Interview mit Dr. Stephan Pilsinger (CSU), Arzt und Mitglied des Deutschen Bundestages

Weil‘s hilft! konnte 2024 durch eine Bundestagspetition verhindern, dass homöopathische Leistungen und Anthroposophische Medizin nicht mehr von Krankenkassen erstattet werden. Minister Lauterbach hatte einen entsprechenden Vorstoß unternommen und wollte die entsprechenden Satzungsleistungen aus dem Leistungskatalog streichen. Wie stehen Sie zu dem Vorstoß des Bundesgesundheitsministers?
       
Ich war erstaunt und auch verärgert darüber, wie pauschal und oberflächlich Minister Lauterbach gegen homöopathische Medizin gewettert hat. Seine Aussage, "Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf Grundlage eines wissenschaftlichen Sachstandes erbringt" ist voreingenommen und undifferenziert. Sicherlich gibt es auch im deutschen Gesundheitswesen einige schwarze Schafe, die gutgläubige Patienten schlicht betrügen. Aber es gibt eben auch wissenschaftsbasierte Homöopathie und Komplementärmedizin, die nachweislich positiv wirken. Das ist kein Hokuspokus, sondern auch eine Form der evidenzbasierten Medizin. Wenn’s hilft – warum dann verbieten?
       
Wie stehen Sie persönlich zu den Verfahren der besonderen (komplementären) Therapierichtungen? Werden diese gebraucht?
       
Ich bin ja selbst Arzt und praktiziere nebenberuflich noch in einer Hausarztpraxis. Zu mir kommen immer wieder auch Patienten, die auf komplementäre Anwendungen und Therapien schwören. Dann werde ich als Arzt den Teufel tun, meine Patienten für verrückt zu erklären, sondern ihnen verordnen, was ich über die Krankenkassen verordnen kann, – und natürlich was ich je nach Diagnose medizinisch verantworten kann. Wir dürfen konventionelle Medizin nicht als Kontrapunkt oder als Konkurrenz zur Komplementärmedizin sehen, sondern eben ergänzend zu dieser. Deswegen ja auch „komplementär“. Das heißt andersherum, dass ich es in der Regel erst mit der „Schulmedizin“ probiere; wenn die nicht anschlägt, gehe ich als Arzt auch andere Wege.
       
       
Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass Patientinnen und Patienten eine gewisse Freiheit in der Wahl ihrer Therapiemöglichkeiten haben?
       
Gott sei Dank und völlig zu Recht haben wir in Deutschland die freie Arztwahl. Wenn ich von den Behandlungsmethoden meines Arztes nicht überzeugt bin, kann ich den Arzt wechseln, also auch andere Therapiemöglichkeiten wählen. Mit Blick auf die hohen Defizite der Gesetzlichen Krankenversicherung und damit auf die hohen Beitragssätze spreche ich mich mittlerweile aber sehr dafür aus, auf der Ebene der Politik mehr Anreize dafür zu schaffen, dass die Leute zuerst zu ihrem Hausarzt gehen, bevor sie gleich einen spezialisierten Facharzt aufsuchen, obwohl das vielleicht gar nicht nötig wäre. Das machen die Patienten ja nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil sie es aus Unwissenheit heraus für den richtigen Weg im Dschungel der deutschen Gesundheitsversorgung halten. Der Hausarzt kann eine erste Diagnose stellen und seinen Patienten gezielt durch das unübersichtliche System steuern. Um das zu erreichen, sollten wir die schon heute bestehende hausarztzentrierte Versorgung bonifizieren. Das heißt, alle Kassen sollten gesetzlich verpflichtet werden, einen etwas günstigeren Hausarzt-Tarif anzubieten, bei dem der Versicherte verpflichtet ist, zuerst den Hausarzt aufzusuchen (mit Ausnahme etwa der Gynäkologen, der Augenärzte und der Orthopäden), gleichzeitig aber einen „Free-Choice“-Tarif vorzuhalten, bei dem die Versicherten zwar etwas mehr zahlen, dafür aber weiterhin völlig freie Wahl haben, wie das heute faktisch schon der Fall ist. Ich bin überzeugt, dass wir so das System nicht nur im Interesse der Patienten effizienter machen, sondern damit auch monatlich einen mindestens zweistelligen Millionenbetrag im GKV-System einsparen können, indem z.B. unnötige Doppeluntersuchungen vermieden werden.
       
       
Circa 70 Prozent der Menschen in Deutschland wünschen sich ein unkompliziertes Miteinander von komplementären und konventionellen Methoden in der medizinischen Versorgung. Gleichzeitig ist die Erstattung dieser Methoden mehr und mehr reduziert worden: Was kann die Politik, was können Sie dafür tun, dass sich das wieder ändert?
       
Wir müssen genau darauf schauen, wo evidenzbasiert geforscht und gearbeitet wird, und wo die Scharlatanerie anfängt, die der gesamten seriösen Komplementärmedizin bedauerlicherweise einen schlechten Ruf einbringt. Hier spielt die Selbstverwaltung, insbesondere der „Gemeinsame Bundesausschuss“ (G-BA), eine bedeutende Rolle, der diese Grenze erkennen und abstecken muss. Ansonsten ist es Aufgabe der Politik, offen und öffentlich klarzumachen, dass die evidenzbasierte Komplementärmedizin einen echten Mehrwert hat und wie wichtig dieser Bereich in Ergänzung zur konventionellen Medizin ist. Das hat Karl Lauterbach einfach nicht verstanden oder will es nicht verstehen, damit er ungeniert ins Horn der Medizinpopulisten blasen kann – ausgerechnet ein Gesundheitspolitiker, der von sich selbst immer behauptet, alles aus der Perspektive der Wissenschaft zu betrachten!
       
       
Komplementären Methoden wird immer wieder vorgeworfen, dass sie unzureichend beforscht seien. Es wird unterstellt, es handele sich um unwissenschaftliche Methoden. Wäre es nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, hier zu unterstützen, wenn es nicht genügend wirtschaftliche Interessen an der Forschung gibt? Wenn ja, auf welche Weise werden Sie sich dafür einsetzen? Und: Wie könnte eine solche Unterstützung aussehen, haben Sie Vorschläge?
       
Ich selbst stehe seit einiger Zeit mit Vertretern der „Internationalen Akademie für Integrative Wissenschaftlich Orientierte Homöopathie“ in Kontakt. Auch ich habe noch viele für mich neue Methoden und Möglichkeiten in diesem Bereich kennenlernen dürfen. Forschung und Entwicklung, aber auch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kosten nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Da stehen Vereinigungen wie die gerade genannte oft sehr allein auf weiter Flur. Sie haben keinen großen Stab an „Lobbyisten“, die ihnen im politischen Berlin die Türen öffnen, wie ihn die Vertreter der Pharmaindustrie haben (was ich nicht schlechtreden möchte!). Daher wäre es schon zu überlegen, ob und inwieweit man die wissenschaftsbasiert arbeitenden Wissenschaftler, Verbandvertreter und Unternehmen im Bereich der Komplementärmedizin mit Bundesmitteln aus dem Etat des BMG oder des BMBF unterstützen kann. Jede Mittelvergabe muss natürlich zur Voraussetzung haben, dass es sich um seriöse, wissenschaftsbasiert agierende Akteure handelt. Und die gibt es im deutschen Gesundheitswesen durchaus vielfach.
       

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