16. Februar 2021 "Wir freuen uns, das erste orale Medikament der Welt anbieten zu können, welches einen signifikanten Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung haben kann und möglicherweise Covid-19-Komplikationen bei Millionen von Patienten verhindert", fasst Dr. Jean-Claude Tardif überaus optimistisch die Ergebnisse der sogenannten Colcorona-Studie, die der Kardiologe als Studienleiter betreut hat, in einer Mitteilung des Institutes für Kardiologie an der Universität Montréal zusammen.

Der Kardiologe spricht von Colchicin, einem Wirkstoff, der bereits seit tausenden Jahren vor allem bei Gicht eingesetzt wurde. Heute scheint Colchicin, ein Pflanzenwirkstoff, der aus der Herbstzeitlosen stammt, allmählich zu einem Bestseller zu werden. In der Kardiologie wird Colchicin beispielsweise als Medikament bei der Herzbeutelentzündung, der sogenannten Perikarditis und nach einer Herzkatheteruntersuchung oder dem Einsatz eines Herzschrittmachers seit einigen Jahren verabreicht. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass der Einsatz des sogenannten Spindelgiftes in niedriger Dosierung nach einem Herzinfarkt weitere kardiovaskuläre Ereignisse verhindern kann. 

Kardiologen verwenden bereits Colchicin

So verwundert es auch nicht, dass die kontinentübergreifenden Untersuchungen zum Einsatz von Colchicin gegen Covid-19-Komplikationen hauptsächlich von Kardiologen geleitet worden sind. Den Angaben zur Studie zufolge wurden letztendlich 4506 Probanden aus den USA, Kanada, Europa, Südamerika und Südafrika gewonnen. Alle waren durch einen Test positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden und alle wiesen mindestens ein Hochrisiko für einen schweren Covid-19-Verlauf auf. Alle Probanden bekamen 30 Tage lang und zufällig ausgewählt entweder Colchicin oder ein Placebo, das sie selbstständig zu Hause einnahmen.

Den Angaben der Mitteilung zufolge, konnten durch die Colchicin-Gaben Klinikeinweisungen um 25 Prozent verhindert, die Notwendigkeit einer künstlichen Beatmung um 50 Prozent und Todesfälle um 44 Prozent reduziert werden. Colchicin habe das Risiko für Krankenhauseinweisungen oder Tod im Vergleich zu Placebo um 21 Prozent gesenkt, berichtet zusammenfassend das Montreal Heart Institut. Obwohl die Ergebnisse dieser randomisierten, doppelblinden Studie im Kampf gegen Covid-19-Komplikationen Hoffnung machen, sollte man sie derzeit noch mit Zurückhaltung betrachten. Bei den Ergebnissen handelt es sich um eine Mitteilung einer Universität und nicht um begutachtete und veröffentlichte Studienergebnisse, wie sie sonst in der Wissenschaft üblich sind. Scheinbar entschieden sich die Forschenden in dieser besonderen Situation der Corona-Pandemie aus Zeitgründen für einen anderen Weg.

Erste Hinweise, dass durch Colchicin Covid-19-Komplikationen verhindert werden könnten, gab es bereits im Sommer 2020, wie das Deutsche Ärzteblatt schreibt. In einer kleineren Studie in Griechenland waren 105 Corona-Patienten in 16 klinischen Zentren mit Colchicin oder Placebo behandelt worden. Schon damals hatte sich angedeutet, dass das Mittel vor allem bei Patienten mit einem potenziell schlechteren Verlauf wertvoll sein könnte.

Preiswertes Mittel wird weiter untersucht

"Der Nutzen ist da. Und es ist ein Medikament, das einen lächerlichen Preis hat. Eine monatliche Behandlung kostet etwa drei Euro", betont José Luis López-Sendón, Kardiologe und Studienleiter des spanischen Teils der Studie mit 250 Patienten. In Spanien laufen derzeit nach Angaben der staatlichen Agentur für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte insgesamt neun klinische Studien, die untersuchen, ob Colchicin schwere Verläufe bei Covid-19 verhindern kann.

Mit Nachdruck raten Ärzte jedoch von einer Selbstbehandlung mit dem rezeptpflichtigen Mittel ab. Das Gift, das auch in geringen Dosierungen wirkt, kann schwere Nebenwirkungen verursachen oder mit anderen Arzneimitteln interagieren. Colchicin darf deshalb nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden.

Der Stoff aus der Herbstzeitlosen reiht sich neben AroniabeerenEnchinacea und Zistrose in die Liste der Pflanzenstoffe ein, die sich als wirksame Waffen im Kampf gegen Covid-19 erweisen könnten.