30. November 2021 - Mitten in der vierten Welle der Pandemie ist jetzt schon klar: Die Corona-Krise wird viele Spuren hinterlassen - auch in der Psyche der Menschen. Gab es schon vor dem Auftauchen des Coronavirus viel zu wenig Therapieplätze und Hilfsangebote, sind diese jetzt zu einer echten Mangelware geworden. Erschwerend hinzu kommt, dass persönliche Gespräche zwischen Patient*innen und Therapeut*innen wegen eingeführter Kontaktbeschränkungen nicht oder nur eingeschränkt möglich sind. Ähnlich ist die Situation auch im Nachbarland Österreich.

Forschende der Medizinischen Universität Innsbruck haben sich deshalb schon im Frühjahr 2020 daran gemacht, leicht zugängliche Hilfe für alle, die diese suchen, zu entwickeln. So entstanden ein Videoportal und eine App. Beide mobilen Anwendungen sollen Patient*innen, die infolge einer Sars-Cov2-Infektion mit Long Covid konfrontiert sind und Menschen, die aufgrund der komplexen Situation psychosozialen Stress erleben, rasche, niederschwellige Hilfe zur Selbsthilfe bieten. "Wir leisten damit einen Beitrag im Sinne der Aufklärung und Prävention von psychischen Störungen und Krankheiten. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil es in Tirol und Österreich bekanntlich einen chronischen Mangel an leistbaren Therapieplätzen für alle Betroffenen gibt", sagt Sperner-Unterweger, dazu.

Sars-CoV-2 greift die Psyche doppelt an

"Es gibt direkte und indirekte Wege, auf denen das Virus die Psyche angreifen kann. Zum einen ist das Virus neurotoxisch, es greift also die Nervenstrukturen an. Chronisch-entzündliche Vorgänge im Körper können zu psychischen Veränderungen führen, die zum Beispiel ein ängstliches oder depressives Verhalten zur Folge haben. Das andere ist die psychosoziale Belastung durch die Corona-Maßnahmen als indirekte Begleiterscheinung des Virus", erklärt Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Universitäts-Klinik für Psychiatrie II der Medizinischen Universität Innsbruck dazu.

Die Forscher*innen haben mit der Help@Covid App die erste Anwendung dieser Art in Österreich entwickelt, die spezifisch auf die Unterstützung von psychisch kranken und belasteten Menschen in der Pandemie zugeschnitten ist. Sie bietet eine Reihe von psychoedukativen Videos zu Themenbereichen wie "Ängste und Sorgen", "Tagesstruktur", "Fehler und Schuld". Darüber hinaus gibt es Tools, mit deren Hilfe die Nutzer*innen ihren Zustand selbst einschätzen und den Verlauf ihrer Belastung beobachten können.

Parallel zu den angebotenen Videos ist es möglich, freiwillig Selbstevaluationen zu den Symptomen auszufüllen. Im Anschluss erhält man eine automatisierte Rückmeldung, die dabei hilft, sich selbst einzuschätzen: Wo stehe ich? Wie entwickle ich mich? Brauche ich therapeutische Hilfe? Neu ist aber, dass man jetzt die Auswertung der Fragebögen auch speichern kann und so einen Überblick über den Verlauf der Belastung bekommen kann.
Dennoch, und das betonen die Forschenden ausdrücklich, kann die App keine Diagnose stellen oder diese ersetzen. Ergibt die Auswertung der Fragen jedoch, dass die Nutzerin oder der Nutzer Gefahr läuft, sich selbst oder anderen zu schaden, stellt die App konkrete Hilfsangebote und Kontaktadressen in Österreich zur Verfügung. "Wir denken auch daran, das Angebot künftig für weitere Störungsbilder auszubauen, auch eine telemedizinische Sprechstunde wäre möglich", stellt Sperner-Unterweger in Aussicht.

Vor allem junge Frauen nutzen das Angebot

Analysen der bisherigen Daten der Interventionsplattform haben gezeigt, dass vor allem Frauen unter 35 Jahren und ohne psychische Vorerkrankungen auf das Angebot zurückgreifen. Dies entspricht auch den Ergebnissen von Studien, die an der Medizinischen Universität Innsbruck in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie durchgeführt worden sind. Eine Zwischenauswertung der großangelegten, noch laufenden "Gesundheit nach Covid-19 in Tirol"-Studie zeigt, dass psychosozialer Stress den größten Risikofaktor darstellt, psychisch krank zu werden. Vor allem Personen, die bereits vor ihrer Erkrankung mit Covid-19 unter Angststörungen oder Depressionen litten, entwickelten infolge der Infektion noch stärkere psychische Symptome, die mindestens zwei Wochen nach überstandener Erkrankung noch anhielten. Für jene Betroffene, die während der Erkrankung starke neurokognitive Symptome durchmachen, sowie psychosomatische Symptome haben, ist die Gefahr größer, Depressionen und Angststörungen zu entwickeln. Hinzu werden die Herausforderungen kommen, die bei der Bewältigung der langfristigen Folgen der Corona-Pandemie entstehen, sind sich die Expert*innen sicher.

Die Angebote, die finanziell maßgeblich vom Austria Wirtschaftsservice (AWS) unterstützt wird, wurden so programmiert, dass die aktuellen Sicherheitsstandards und Vorgaben zur Datenschutz-Grundverordnung berücksichtigt wurden. Die Seite ist unter: https://www.psychosomatik-innsbruck.at/help-covid-portal/public/app/#/home zu finden. 

Die App kann bereits für iOS Apple heruntergeladen werden. Für Android soll sie in den nächsten Tagen zur Verfügung gestellt werden. Auch sie kann dann über die Weiterleitung der Seite: https://www.psychosomatik-innsbruck.at/help-covid-portal/public/app/#/page/0db19d2c-a3fc-467b-8379-eef94970f9ec  heruntergeladen werden.