24. November 2021 - Wie es zum Post-Covid-Syndrom kommt und in welcher Art es vorkommt, wollen Wissenschaftler*innen herausbekommen. Forschende der neurologischen Post-Covid-Ambulanz an der Charité haben die Daten der ersten 100 Patient*innen ausgewertet. Sie stellten dabei fest, dass kognitive Beeinträchtigungen bei 72 Prozent der Betroffenen am häufigsten auftraten. Mit 67 Prozent war Fatigue, also Erschöpfung und Müdigkeit das zweithäufigste Symptom, gefolgt von Kopfschmerzen sowie Geruchs- und  Geschmacksstörungen beide mit 36 Prozent. "Im Gegensatz zu der häufigen Fatigue-Symptomatik war eine exzessive Tagesmüdigkeit nur bei einem Drittel der Betroffenen vorhanden", schreiben die Forschenden in einer Mitteilung. Es folgten Muskelschmerzen, auch als Myalgien bezeichnet mit 21 Prozent, Schwindel bei 20 Prozent und verschiedene Schmerzsyndrome bei 17 Prozent. 5,5 Prozent aller Patienten zeigten Symptome einer schweren Depression.

Von den 100 Personen, die sich seit September 2020 in der Ambulanz für Neurologie vorgestellt hatten, waren 67 Frauen und 33 Männer. Alle waren zwischen 20 und 79 Jahre alt, das Durchschnittsalter wird mit 45,8 Jahren angegeben. Insgesamt 89 Prozent der Patient*innen hatten einen leichten Covid-19-Verlauf und mussten nicht in einem Krankenhaus behandelt werden. Die Covid-19-Diagnose war entweder durch einen PCR-Test oder durch Antikörperbestimmung festgestellt worden.

Kognitive Defizite zeigten sich deutlich

Die Patient*innen sollten mehrere standardisierte Fragebögen ausfüllen. Neben dem kognitiven Screening mit dem sogenannten  "Montreal Cognitive Assessment" kurz MoCA wurden mit dem "Epworth Sleepiness Scale" (ESS) Fragen zum Schlaf, das "Beck Depression Inventory Version I" (BDI) Fragen zu möglichen Depressionen und mit "Fatigue Severity Scale" (FSS) Fragen zum  Erschöpfungszustand gestellt.

Dabei zeigten sich deutlich die kognitiven Defizite. 30 Prozent der Patientinnen und Patienten erreichten auf der MoCA-Skala weniger als 26 von 30 möglichen Punkten. In diesen Fällen wurden weiterführende Untersuchungen veranlasst (zerebrale Bildgebung und Liquordiagnostik), deren Auswertungen in der Arbeit noch nicht enthalten sind.

Bedarf an neurologischer Versorgung ist groß

Die vorläufigen Ergebnisse, die auch in einem Paper erschienen, wurden von Christiana Franke, die an der Untersuchung beteiligt ist, beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Anfang November vorgestellt: "Der Bedarf an neurologischer Versorgung beim Post-Covid-Syndrom ist groß, zumal die Patientenzahlen weiter steigen. Weitere Forschung zu den pathophysiologischen Mechanismen ist dringend erforderlich. Für die Betreuung Betroffener ist die Zusammenarbeit vieler Fachdisziplinen anzustreben, da eine kausale Therapie nicht absehbar ist und ein sinnvolles Procedere für den einzelnen Patienten etabliert werden muss." Auch das Angebot von Rehabilitationsbehandlungen für Post-Covid-19-Patient*innen mit primär neurologischen Manifestationen sollte strukturiert werden, um Betroffenen hilfreiche Angebote zu machen, betonte die Neurologin.

Anzeichen und Symptome, die sich während oder nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 entwickeln und länger als 12 Wochen andauern und nicht durch eine alternative Diagnose erklärt werden können, werden als Post-Covid-19-Syndrom (PCS) definiert. Umgangssprachlich werden diese auch unter dem Begriff Long Covid zusammengefasst. Auch wenn die langanhaltenden Symptome häufiger und vor allem bei schwer an Covid-19-Erkrankten zu beobachten sind, bleibt auch ein Teil der Betroffenen mit milden Verläufen nicht vor den kognitiven Einschränkungen verschont. 

Wie es jedoch zu diesen Einschränkungen kommt, ist aktuell noch unklar. Bisher geht man davon aus, dass sie nicht im direkten Zusammenhang mit einer anhaltenden Schädigung des Zentralen Nervensystems durch die Viruserkrankung stehen. Sogenannte endotheliale-mikrozirkulatorische Dysfunktionen, eine anhaltende Inflammation und autoimmunologische Mechanismen werden diskutiert. Bis die Ergebnisse zu den Ursachen vorliegen, kann die Therapie der Patient*innen nur primär symptomatisch erfolgen.